Medizinische Versorgung Neues Konzept: So will Rheinland-Pfalz Landärzte für die Region gewinnen

Trier/Mainz · Um die ärztliche Versorgung zu retten, sollen Studenten helfen. Kritiker sagen, das Bild vom Landarzt müsse sich grundlegend wandeln.

 Wie lange hängt dieses Schild noch an einer Praxis? Die Ärzteversorgung auf dem Land ist künftig in Gefahr.

Wie lange hängt dieses Schild noch an einer Praxis? Die Ärzteversorgung auf dem Land ist künftig in Gefahr.

Foto: dpa/Holger Hollemann

Im Fernsehen ist der Landarzt schon längst abgesetzt. Über viele Jahre lief die Vorabendserie im ZDF, in der ein Doktor mit einem schicken Auto an den Rapsfeldern in Schleswig-Holstein entlangdüste, um Patienten zu helfen. Politik und Verbände kämpfen inzwischen darum, den Hausarzt vom Lande wenigstens im echten Leben zu retten. Und das ist eine harte Probe: In Rheinland-Pfalz sollen bis 2022 gut 1600 Hausärzte fehlen.

Das Gesundheits- und das Wissenschaftsministerium basteln nun an einem Konzept zu einer Landarztquote, um mehr junge Studenten zu gewinnen. Nordrhein-Westfalen will das 2019 schon vormachen. 168 Plätze stellt das Nachbarland künftig für Studenten bereit, die sich vertraglich verpflichten, nach dem Abschluss mindestens zehn Jahre Patienten in unterversorgten Regionen zu betreuen.

Der Vorteil für angehende Erstsemester, die mit dem Modell liebäugeln: Sie umgehen das übliche Bewerbersystem, bei dem sie in vielen Städten erst gar keine Chance auf ein Medizinstudium haben, weil sie einen Abischnitt von 1,0 brauchen. Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) sagt: „Ich kenne viele junge Menschen, die mit einem Abiturschnitt von 1,9 keine Chance mehr hatten. Die Quote wäre eine Option für diejenigen, die vom Land kommen und dort bleiben wollen.“ Ungewohnte Unterstützung erfährt die SPD-Ministerin von der CDU, die in der Opposition sitzt. Der Landtagsabgeordnete Peter Enders sagt, er freue sich, dass sich „nun auch die SPD die Idee aneignet, die wir so oft vorgestellt haben“. Der Politiker hält eine Quote für einen Weg, dem Ärztemangel im ländlichen Raum zu begegnen. „Wir müssen langsam anfangen, die Einzelteile des Autos zusammenzubauen, damit es fährt“, fordert er. Enders verweist auf die Bundeswehr, die seit Jahren erfolgreich junge Menschen damit anwerbe, ihnen das Studium zu bezahlen und sie gleichzeitig über Jahre hinweg verpflichte. „Dort klappt das auch.“ Enders befürwortet, eine solche Quote mit einer empfindlichen Ausstiegsklausel zu versehen, wenn Studenten ihr Versprechen brechen.

Ausgerechnet die Koalitionspartner der SPD halten dagegen. Die Grünen-Abgeordnete Katharina Binz fordert vielmehr, das Bild des Landarztes zu verändern, weil junge Menschen immer häufiger Beruf und Familie vereinbaren wollten. Sie hinterfragt auch, ob eine Quote mit der Verfassung zu vereinbaren sei, weil die freie Berufswahl gelte. Steven Wink (FDP) wirbt hingegen für mehr Behandlungen per Internet und medizinische Versorgungszentren.

Carsten Schnieder sagt, er habe im hausärztlichen Versorgungszentrum in Daun keine Probleme, junge Mediziner zu finden. An der Uni Mainz werbe er regelmäßig bei jungen Studenten, in Daun die nötige Praxis zu sammeln. „Viele haben beim Landarzt ein völlig falsches Bild im Kopf. Hinterher fahren sie fast alle mit einem Aha-Effekt zurück.“ Denn auch über die Arbeit hinaus bemühe sich das Zentrum, den Wünschen der Mitarbeiter gerecht zu werden. Fußläufig könnten sich die jungen Mediziner kostenlos in einer angemieteten Wohnung einquartieren, mit den Praxisautos dürften sie durch die Vulkaneifel fahren – und von einer 60-Stunden-Woche will der Chef nichts hören. Von 7 bis 20 Uhr seien immer Ärzte vor Ort, die die Patienten behandeln. Die Folge: „Wir können dadurch Wunscharbeitszeiten ermöglichen, bei denen eine alleinerziehende Mutter auch nach 8.15 Uhr zur Arbeit kommen kann, wenn sie ihr Kind zur Schule bringen muss. Junge Ärzte arbeiten liebend gerne – aber nicht rund um die Uhr.“ Eine Landarztquote lehnt der Eifeler ab: „Es hat sich nie bewährt, jemanden zu einer Tätigkeit zu nötigen und Patienten einen völlig unmotivierten Arzt vor die Nase zu setzen.“ Peter Heinz, Landesvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung, kritisiert dagegen die Medizinischen Versorgungszentren, die mit Steuermitteln unterstützt seien und die ambulante Versorgung kannibalisierten. Er fordert in den Honorarverhandlungen mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen eine Lösung, um das Arbeiten der Ärzte wieder attraktiver zu machen. Eine Landarztquote sehen auch die Kassenärzte kritisch. Was, fragt der Verband, wenn ein Student merkt, dass ihm eine Fachrichtung gar nicht liegt oder ihn eine Partnerschaft in einer Stadt hält?

Beim Benennen des Problems sind sich aber fast alle einig. „Die Sicherstellung der Versorgung ist sehr ernsthaft gefährdet. Die Politik schluckt Beruhigungspillen wie Telemedizin, Ärztegenossenschaften und Praxisbus, um den Rest der Legislaturperiode zu überstehen“, schimpft Peter Heinz. War der Landarzt einst im Fernsehen noch eine nette Vorabendserie, ist er im echten Leben schon zu einem Krimi geworden.

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