Tierhaltung Schwein gehabt: Neues Label für Masttiere

Trier/Berlin · 2013 bekommen deutsche Schweine per Gesetz zehn Quadratzentimeter mehr Platz. Besser haben es allerdings die Tiere, die in das neue Zertifizierungsprogramm des Tierschutzbunds rutschen. Ehe sie im Schlachthaus landen, haben sie weniger Schmerzen, mehr Bewegung und mehr Beschäftigung als ihre Artgenossen aus der normalen Massentierhaltung.

 Symbolfoto

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Foto: dpa/Jens Büttner

Wenn Schweine sich der Geschichtsschreibung widmen würden, so erhielte das Jahr 2013 wohl einen wohlwollenden Vermerk. Die große Wende bringt es der Stallwelt zwar nicht. Doch verschafft es den Vierbeinern ein paar Verbesserungen, die sich aus Schweinesicht lohnen.
Bis Ende 2012 war es für Zuchtsauen normal, dass sie ihr Leben in Kastenständen verbringen. In Metallboxen, die so eng sind, das die trächtigen oder säugenden Tiere sich nicht einmal wenden, geschweige denn hin und her laufen können. Seit dem ersten Januar ist das verboten. Zumindest auf Dauer. Die Sauen sollen sich nun in Gruppenbuchten frei bewegen dürfen. Jungtiere müssen dort mindestens 0,95 und Sauen 1,3 Quadratmeter Bodenfläche bekommen.
Auch Ferkel und Mastschweine haben mit dem Jahr 2013 ein wenig mehr Platz bekommen: Statt 0,65 Quadratmetern werden jedem Mastschwein (bis 110 Kilogramm) 0,75 Quadratmeter Bodenfläche zugestanden. Zudem müssen die Bodenspalten, durch die die Gülle abfließt, künftig schmaler sein, um Verletzungen zu verhindern.
Daran, dass es weiterhin eng ist, dass die Ammoniakdämpfe Augen und Atemwege reizen oder dass Langeweile, Enge, Stress und Lärm Aggressionen hervorrufen, die an den Schwänzen und Ohren der anderen Schweine ausgelassen werden, ändert das freilich wenig. Ebensowenig wie jenes Gesetz, das das routinemäßige Kürzen der Schwanzspitzen bereits vor Jahren verboten hat. Die meisten deutschen Mastschweine haben keinen Schwanz. Der wird abgeschnitten. Wie soll das sonst auch gut gehen, bei so vielen Tieren auf so engem Raum?
Verbraucher denken um


Doch bringt das Jahr 2013 ja noch mehr Veränderungen. Zunächst - und das könnte entscheidend sein - offenbar in den Köpfen der Menschen. Jedenfalls besagt eine neue Studie, die das Bundeslandwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hatte, dass 89 Prozent der Deutschen angeben, ihnen sei es "sehr wichtig" oder zumindest "wichtig", dass Lebensmittel aus besonders tiergerechter Haltung stammen.
Wenn das stimmt, müssten sich auch 89 Prozent der Deutschen brennend für die aus Schweinesicht vielleicht wichtigste Neuerung des Jahres 2013 interessieren: Das neue Fleischsiegel des deutschen Tierschutzbunds. Zurück zu einem Bauernhofidyll führt es sicher nicht. Wohl aber zu deutlichen Verbesserungen.
Das Kürzen der Schwänze, betäubungslose Kastration und lange Transportwege (mehr als vier Stunden) sind generell verboten, wenn das Fleisch zertifiziert werden soll. Schon in der Einstiegsstufe (ein Stern) haben die Schweine ein Drittel mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt Beschäftigungsautomaten mit Stroh und die Luft wird gekühlt. In der Premiumstufe (zwei Sterne) haben die Tiere doppelt so viel Platz wie in einem konventionellen Stall. Aktivitäts-, Liege- und Kotbereich sind voneinander getrennt, es gibt Stroh, in dem die Schweine wühlen können und verschiedene Temperaturzonen (Auslauf oder Offenfrontstall).
Ein ganz ähnliches freiwilliges Label für Mastschweine und Masthühner wurde 2009 in den Niederlanden eingeführt. Am Anfang wurden laut Naturschutzverband BUND 2,5 Millionen Tiere unter den besseren Bedingungen gehalten. 2012 waren es bereits 15 Millionen Tiere. Der Umweltverband begrüßt ein solches Label daher. Der Mehrzahl der Tiere in industriellen Massentierhaltungen werde es jedoch nicht helfen. Vielmehr seien strengere Tierschutzbestimmungen nötig und eine deutliche Kennzeichnung, die den Käufer auch auf Massentierhaltung hinweist. Das ist allerdings derzeit nicht geplant. Und so bleibt die große Wende in der Geschichte der Schweinehaltung außer Sicht.
Extra

Für die Haltung von Masthühnern gibt es folgende Kriterien: Konventionell: keine Herdenobergrenze, 20 000 bis 30 000 Tiere pro Stall sind üblich, maximale Besatzdichte: 35 Kilogramm pro Quadratmeter, Schnäbel dürfen gekürzt werden, weder Auslauf, noch Stangen, noch Einstreu sind vorgeschrieben, schnell wachsende Hochleistungsrassen. EG Bio-Verordnung: maximal 4800 Tiere pro Stall und 21 Kilogramm pro Quadratmeter, vier Quadratmeter Grünauslauf pro Tier, Sitzstangen, ein Drittel der Stallfläche zum Scharren eingestreut, langsam wachsende Hühnerrassen, Biofutter. Verbände wie Bioland fordern zusätzlich einen überdachten Schlechtwetterauslauf. Die Tierschutzlabel: Das Label des deutschen Tierschutzbunds "Für mehr Tierschutz" ist weitgehend vergleichbar mit dem Siegel "Tierschutz kontrolliert" der Stiftung Vier Pfoten, unter dem es bisher nur Hühnerfleisch zu kaufen gibt. Die Einstiegsstufe ist bei beiden mit einem Stern gekennzeichnet. Die Premiumstufe ist vom Tierschutzbund mit zwei Sternen, von Vier Pfoten mit drei Sternen gekennzeichnet. Eintrittsstufe: Maximal zwei mal 30 000 Masthuhnplätze, maximale Besatzdichte: 25 Kilogramm pro Quadratmeter, Sitzstangen, Pickgegenstände, für die Hälfte der Mastdauer muss ein Raum zum Scharren bereitstehen, langsam wachsende Rasse. Premiumstufe (noch nicht erhältlich): maximal 4800 Tiere pro Stall und 21 Kilogramm pro Quadratmeter, vier Quadratmeter Auslauf pro Tier, Sitzstangen, Pickgegenstände, für die Hälfte der Mastdauer muss ein Raum zum Scharren bereitstehen, langsam wachsende Hühnerrasse. kahExtra

Michael Horper, stellvertretender Chef der rheinland-pfälzischen Landwirtschaftskammer und Geschäftsführer des Bauernverbands Bitburg-Prüm findet Tierschutz "gut und richtig". In den vergangenen Jahren sei da schon sehr viel gemacht worden. Horper findet auch, dass die neuen Label den Verbrauchern eine gute Orientierung bieten. Allerdings müsse ihnen klar sein, dass mehr Tierschutz auch mehr kostet. Genau das ist auch für viele kleinere Betriebe ein Problem. Denn wer das Geld nicht hat, um seinen Stall den Anforderungen entsprechend umzubauen, ist womöglich zum Aufgeben gezwungen. Laut Horper sind insbesondere Schweinehalter betroffen. "Mit jeder neuen Auflage gehen uns Betriebe verloren", sagt er. Eine Entwicklung, die er sehr skeptisch sieht. kah

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