Spochtipedia TV-Serie Spochtipedia: Tischfußball - Immer schön bei der Stange bleiben!
Trier · Beim Tischfußball geht's um Koordination, Konzentration - und um Emotionen. In Trier wächst gerade etwas heran. Das könnte schneller als gedacht in die 2. Bundesliga führen.
Hunderttausend Kippen im Aschenbecher, mindestens. Daneben der Bierdeckel: Ein Kunstwerk aus Kreuzen und Strichen. Und vom Kickertisch tönt ein sattes „Klack“. Tor! „Schickes Ding!“, raunt vielleicht der Mitspieler. „Letzte Runde!“, schallt's von der anderen Seite des Nebels. Adrenalin und Alkohol, morgens um 4 Uhr. So oder ähnlich mag man sich das Kicker-Klischee vorstellen, wenn's denn sein muss.
Matthias Erlei mag sich das überhaupt nicht so vorstellen, muss nicht sein. Das hat einen einfachen Grund: Der Tischfußball, für den der Präsident des rheinland-pfälzischen Tischfußballverbands steht, hat damit nichts am Deckel. Jedenfalls nicht mehr als im „großen“ Fußball ein Bundesliga-Spiel mit einem Thekenkick. „Wir versuchen, das Image des Kneipensports loszuwerden“, sagt Erlei, der in der Nähe von Limburg lebt. „Wir wollen als Sport wahrgenommen werden.“ Ein Sport, der ein Querschnitt durch die Gesellschaft sei, wie er sagt. Alt, jung, dick, dünn, männlich, weiblich – ganz egal! Erlei sitzt in einem Büro im Mergener Hof in Trier. Im MJC-Keller spielen an diesem Samstag fast 150 Tischfußball-Spieler aus ganz Rheinland-Pfalz um Punkte. In 23 Mannschaften, an 13 Tischen. Er spricht über die Tischfußball-Bundesligen, über die Nationalmannschaft, über Nachwuchsförderung und Professionalisierung. Mittelfristig hofft Erlei auf eine Aufnahme des Tischfußballs in den Landessportbund (was in anderen Bundesländern schon der Fall ist). Auch ein behindertengerechter Tisch soll bald kommen. Kurz gesagt: Mehr Tischfußball für alle. Erlei, der engagierte Verbandspräsident im Dortmund-Trikot, ist mit der Location in Trier „total glücklich“. Was er an diesem Ruhrderby-Samstag wenig später wohl nicht über seinen BVB sagen wird. Wie viele andere kam er während der Studienzeit zum Kickern, damals in Siegen. „Das Studium hat dann etwas länger gedauert“, sagt er und lacht.
Ein Blick in den historischen Gewölbekeller in der Trierer Innenstadt. An einem Tisch spielen gerade Renato und Antoine vom Altricher Soccer Club gegen zwei Jungs von den Wasgau Shooters Pirmasens. Eine blitzschnelle Handbewegung von Renato – und der kleine Ball knallt ins Tor. Und auch wenn der MJC-Keller abends eine beliebte Party-Location ist: Es weht kein Hauch von Kneipe, hier gibt's kein Bier am Tisch, natürlich auch keine Zigaretten. Gespielt wird im Trikot, das ist Pflicht. Und wer sich die Spiele anschaut und Kickern nur als gelegentliche Freizeitbeschäftigung kennt, sieht schnell die Unterschiede: In den Ligen wird mit System gespielt. Etwa, wie die Stürmer angespielt werden. Der Ball wird ganz gezielt aus der Mittelfeldreihe an den eigenen Stürmer gebracht. Mit dem Kneipen-Mix aus Wille, Glück und Zufall ist hier nichts zu reißen.
Für die Tischfußball-Abteilung der MJC ist der Bündel-Spieltag zum Saisonabschluss die bisher größte Veranstaltung. Aber die MJC ist auch ganz frisch am Tisch. Vor zwei Jahren hatten Nils Ostwald und Peter Kupietz, leidenschaftliche Tischfußballer, die Zusammenarbeit mit dem Mergener Hof angestoßen. Inzwischen stellt die MJC drei Mannschaften – mit Erfolg: Die erste Mannschaft hat sich am Samstag nach einer starken Saison in der Landesliga für die Relegationsrunde zur 2. Bundesliga qualifiziert. „Wir trainieren zwei Mal in der Woche in der MJC“, sagt Nils Ostwald, den es vor 15 Jahren aus der Tischfußball-Hochburg Hamburg zum Studium nach Trier gekommen war – und der an der Mosel geblieben ist. Er kam in der Oberstufe zum Kickern, in Trier war er dann in Kneipen wie dem „Fetzenreich“ oder dem „Simplicissimus“ immer wieder mal an den Stangen zu finden. Was den Sport für ihn ausmacht, neben der Auge-Hand-Koordination, neben guten Reflexen, der Emotion? „Man muss sich im entscheidenden Moment konzentrieren können“, sagt Nils, der sich im neuen Umfeld sehr wohlfühlt: „Es geht familiär zu, man kennt sich. Bei uns ist auch jeder willkommen.“ Von Anfang 20 bis Ende 50, Frauen und Männer, bunt gemischt. So setzen sich die Teams der MJC zusammen. MJC-Spielerin Sara Rezmann hat im Oktober ihren ersten Landestitel gefeiert: Sie wurde in Gerolstein Rheinland-Pfalz-Meisterin.
Die Meisterschaft hatte Gunnar Maisel mitorganisiert. Auch er ist in Trier vor Ort - mit seinem Team Altrich Soccer Club. Den ASC gibt es seit 2005. Trainiert und gespielt wird allerdings mangels öffentlichem Kickertisch aber inzwischen in Gerolstein. Einer der vielen Reize des Spiels? „Es kommt vor, dass man auch mal gegen einen Weltmeister spielt“, sagt Gunnar Maisel. Das ist für einen Amateur in anderen Sportarten eher unrealistisch. <EA> Markus Marschall ist seit Beginn dabei in der jüngsten Abteilung der seit diesem Jahr 400 (!) Jahre alten MJC Trier. Der Endfünfziger ist zugleich der älteste unter den MJC-Tischfußballer. Das war auch Zufall, wie er sagt. Er hatte in einer Trierer Kneipe von der geplanten Gründung der Abteilung gehört - und das, nachdem er kurz zuvor seine alte Leidenschaft wiederentdeckt hatte: „Ich hatte vor 35 Jahren ein Team in Gerolstein. Ich hatte dann aber viele Jahre lang nicht mehr gespielt, nachdem es mich nach Trier gezogen hatte.“ Auch frühere Kollegen sind nach langer Abstinenz zurück am Tisch. „Ich hatte schon 1981 mit Dieter Meerfeld bei der Gerolsteiner Stadtmeisterschaft gespielt – und nach 36 Jahren Pause nun erneut.“
Links und Tipps:
Die MJC-Tischfußballer freuen sich über neue Mitglieder – trainiert wird zwei Mal in der Woche im Mergener Hof. Informationen gibt's unter www.kickern-in-trier.de</haf><EA>Den TFC Trier, der in Trier-Euren spielt (Gasthaus Junkes), ist unter facebook.com/TFCTrier zu finden. Unter rptfv.de stellt sich der rheinland-pfälzische Landesverband vor. Den Deutschen Tischfußball Bund findet man unter dtfb.de. Ein empfehlenswerter Blog: kickernmitkopf.de (AF)
Extra I - Ein kreativer Franzose und ein junger Sport
Trier (AF) Ein guter Mann, ganz schön kreativ: Der Franzose Lucien Rosengart (1880 - 1976) soll als Mitarbeiter des Autobauers Citroën nicht nur an der Entwicklung des Vorderradantriebs und des Sitzgurtes beteiligt gewesen sein – er gilt auch als Erfinder des Tischfußballs, den er Anfang des 20. Jahrhunderts „Babyfoot“ nannte. Einer der ältesten Hersteller der Tische ist die Firma Kicker in Genf. Der Name hat sich bis heute im Sprachgebrauch gehalten. Seit 2010 ist Drehstangentischfußball offiziell als Sport anerkannt.
Worauf es ankommt? Ohne hohen Trainingsaufwand wird man kein Topspieler, Talent hin oder her. Die Spieler schulen im Training zwar vor allem die Auge-Hand-Koordination. Aber um Erfolg zu haben und Turniere zu gewinnen, reicht das nicht – da sind auch andere Aspekte entscheidend: Wer unter Wettkampfbedingungen kickert, muss sich auf den Punkt konzentrieren können, er muss psychisch belastbar und körperlich fit sein. Dabei geht es manchmal so schnell zur Sache, dass man als Zuschauer schon sehr genau hinschauen muss. Je nach Schusstechnik kann der Ball auf bis zu 50 Stundenkilometer beschleunigt werden. Seit den 1960ern ist Tischfußball in Deutschland populär. Kicker-Tische stehen in Kneipen, aber auch in Jugendzentren und Schulen, inzwischen aber auch in Firmen – denn auch zum Teambuilding und Stressabbau taugt der Sport. Der Deutsche Tischfußball Bund wurde 1969 gegründet. Nach eigenen Angaben gibt's aktuell 13 Verbände mit rund 8000 aktiven Vereinsspielern. Der rheinland-pfälzische Verband hat rund 350 Mitglieder, die Zahl der nicht organisierten Spieler ist deutlich höher.
In der 1. Bundesliga spielen mit TFBS Koblenz (Deutscher Meister 2016) und dem 1. KC Kaiserslautern zwei rheinland-pfälzische Teams. Seit 1978 gibt's die Bundesliga - und bis Anfang des Jahrtausends gingen die Meistertitel fast serienmäßig ins Saarland, oft nach Neunkirchen, Burbach oder Spiesen. In der zweiten Liga treten 24 Teams aus dem gesamten Bundesgebiet an.
Extra II - Anderer Tisch, anderes Land: Warum zwei Trierer Clubs in unterschiedlichen Bundesländern spielen.
Trier/Altrich/Gerolstein. Kicker-Tische gibt's auch in der Region reichlich. In Gaststätten sind die eher rustikalen Saarland-Kicker weit verbreitet – nach seinem ursprünglichen Entwickler auch „Hansberg-Kicker“ genannt. Das Saarland ist seit Jahrzehnten auch eine Hochburg des Kickerns. Der älteste Trierer Tischfußball-Verein, der 1969 gegründete TFC Trier, hat sich auf den Saarland-Kicker spezialisiert. Der in Trier-Euren beheimatete TFC nimmt seit 2011 aus diesem Grund auch am saarländischen Ligenbetrieb teil.
In der rheinland-pfälzischen Landesliga – und an anderen Tischen – spielen die erste Mannschaft der MJC Trier, die Chancen hat, über eine Relegationsrunde in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Ebenfalls in der Landesliga vertreten ist der Altricher Soccer Club, der am vergangenen Wochenende den Klassenerhalt perfekt gemacht hat. Der Club wurde 2005 in Altrich (Kreis Bernkastel-Wittlich) gegründet, mangels Spielstätte vor Ort kooperieren die Altricher aber mit Gerolstein, wo es ebenfalls eine vitale Kicker-Szene gibt. Auch in den beiden weiteren rheinland-pfälzischen Ligen sind Trierer Teams vertreten. Die zweite MJC-Mannschaft spielt in der Verbandsliga, die dritte Mannschaft der Trierer in der neu gegründeten Bezirksliga. Die Triererin Sara Rezmann ist amtierende Rheinland-Pfalz-Meisterin.