Vor 15 Jahren Mord aus Frust über ein abgesagtes Abendessen (Video)

Trier · Vor 15 Jahren wird eine Trierer Ingenieurin von ihrem Nachbarn aus Frust über ein abgesagtes Abendessen ermordet.

Fast drei Wochen lang durchsuchen Dutzende mit weißen Schutzanzügen und Atemmasken bekleidete Einsatzkräfte die Mertesdorfer Deponie. Vergeblich. Die vermissten Leichenteile werden nicht gefunden.

Fast drei Wochen lang durchsuchen Dutzende mit weißen Schutzanzügen und Atemmasken bekleidete Einsatzkräfte die Mertesdorfer Deponie. Vergeblich. Die vermissten Leichenteile werden nicht gefunden.

Foto: kimmling klaus

Es dürfte eine der denkwürdigsten Vernehmungen gewesen sein, die Wolfgang Schu im Laufe seiner vielen Jahre bei der Mordkommission gemacht hat. Jedenfalls erinnert sich der pensionierte Kriminalhauptkommissar auch 15 Jahre danach noch an fast jedes Detail seines Gesprächs mit dem Tatverdächtigen.

Schu ist an diesem Februarvormittag 2004 davon überzeugt, den Mörder vor sich sitzen zu haben. Doch noch streitet sein Gegenüber alles ab. Zehn Tage zuvor hat ein Spaziergänger am Moselufer in der Nähe von Grevenmacher die grausige Entdeckung gemacht: einen weiblichen Torso, eingewickelt in einen blauen Plastiksack. Wer die Tote ist, bleibt zunächst unklar. Erst aufgrund einer Vermisstenanzeige und des genetischen Fingerabdrucks kann die Identität schließlich geklärt werden. Bei der Toten handelt es sich um eine 31-jährige Ingenieurin aus Trier. Die junge Frau lebt alleine in einem Mehrfamilienhaus im Stadtteil Mariahof.

 In der Nähe der vor sechs Jahren abgerissenen Moselbrücke zwischen Wellen und Grevenmacher entdeckt ein Spaziergänger den Torso.

In der Nähe der vor sechs Jahren abgerissenen Moselbrücke zwischen Wellen und Grevenmacher entdeckt ein Spaziergänger den Torso.

Foto: Jürgen Boie (jbo)

Routinemäßig befragt die Polizei nach dem Verschwinden der jungen Frau Verwandte, Freunde und Nachbarn. Darunter ist auch ein 38-jähriger Malergeselle, der im selben Haus lebt wie die Ingenieurin. Von einer Freundin der Getöteten haben die Fahnder erfahren, dass sich die beiden Nachbarn zum Pizzaessen verabredet hatten, die Ingenieurin den Termin aber wieder absagen wollte.

Bei der ersten Befragung durch zwei Ermittler erwähnt der Maler zunächst nichts von der Verabredung zum Essen. Erst nach längerer Zeit und auf Nachfragen habe sich der Nachbar „erinnert“ („Das habe ich ganz vergessen“), sagt Wolfgang Schu. Für den durch seine beiden Kollegen telefonisch informierten Kriminalisten ein Indiz, dass da etwas faul sein könnte. „Ich wurde sofort hellhörig“, erinnert sich der Trierer Fahnder.

 Der Mörder warf die in blaue Abfalltüten eingepackten Leichenteile in Müllcontainer. Die Angaben des Malers wurden später auch von einer Zeugin bestätigt, die ihn dabei gesehen hatte.

Der Mörder warf die in blaue Abfalltüten eingepackten Leichenteile in Müllcontainer. Die Angaben des Malers wurden später auch von einer Zeugin bestätigt, die ihn dabei gesehen hatte.

Foto: Polizei Trier

Er lässt den sich im Gartenhäuschen der Eltern aufhaltenden Maler festnehmen und ins Kommissariat in der Südallee bringen. Schu ist damals Leiter der eigens für den Fall an diesem 17. Februar 2004 gebildeten Sonderkommission Soko 1702.

In der Vernehmung geht es zunächst um Nebensächlichkeiten. Seine Ausbildung zum Maler und die Formel 1 sind Themen, an die sich Kriminalhauptkommissar Schu auch 15 Jahre später noch erinnert. Und an sein damaliges Gefühl, dass sein Gegenüber etwas mit dem Verschwinden der Nachbarin zu tun haben könnte.

Zu diesem Zeitpunkt steht noch nicht zweifelsfrei fest, dass es der Torso der vermissten Frau ist, den ein Spaziergänger ein paar Tage zuvor am Moselufer gefunden hat. Wolfgang Schu erwähnt den Fund auch gar nicht, als er den Maler wegen der verschwundenen Nachbarin vernimmt. Der Ermittler wird aber hellhörig, als der Verdächtige plötzlich auf ein paar Blutstropfen auf seinem Pulli zu sprechen kommt, die von ihm selbst stammten, weil er sich beim Arbeiten am Finger verletzt habe. „Von Blut war doch vorher überhaupt keine Rede“, wundert sich der Fahnder noch heute.

 Der Angeklagte und sein Verteidiger, der 2017 verstorbene Trierer Anwalt Paul Greinert.

Der Angeklagte und sein Verteidiger, der 2017 verstorbene Trierer Anwalt Paul Greinert.

Foto: vetter friedemann

Die Vernehmung wird für diesen Tag beendet, der Mann bleibt in Polizeigewahrsam. Am nächsten Tag geht die Vernehmung weiter, während parallel Beamte mit Leichenspürhunden in die Wohnung des Angeklagten gehen. Im Bad der Wohnung legen sich die Hunde hin  – ein eindeutiges Zeichen, dass sie an dieser Stelle Leichengeruch wahrnehmen.

Der Maler wird mit den neuen Informationen konfrontiert. Und Schu sagt ihm auch, dass ein weiblicher Torso an der Mosel gefunden worden sei. In dem Vernehmungsraum sitzen nur die beiden Männer. Der Mordermittler sagt nichts, schaut nur seinen Gegenüber an, dem Wolfgang Schu anmerkt, wie er mit sich ringt. Und einmal auch mit sich selbst spricht:  „Das kann doch nicht wahr sein“, sagt der 38-Jährige. Schu schweigt weiter. Er weiß, wie schwer es ist, ein Gewaltverbrechen zu gestehen.

Nach einer halben Stunde bricht der Verdächtige sein Schweigen. Er bekommt einen Weinkrampf, und dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. „Ich habe ihm die Erschütterung über sich selbst angemerkt“, erinnert sich der Ermittler, der nach dem umfangreichen Geständnis des Mannes einen Arzt kommen lässt, so fertig ist sein Gegenüber.

 Wolfgang Schuh

Wolfgang Schuh

Foto: Rolf Seydewitz

Er hat die Nachbarin nach eigenen Angaben am Tag nach dem von ihr abgesagten Pizzaessen in der Waschküche des Hauses mit einem Handtuch erstickt. „Es ist plötzlich über mich gekommen“, sagt der 35-Jährige zu den Hintergründen des Gewaltverbrechens.

Später an diesem Samstag schleppt er die Leiche aus dem Keller ins Bad seiner Wohnung, trennt mit einer Metallsäge Kopf und Gliedmaßen ab und verstaut alles in blauen Abfalltüten. Den Torso wirft er am späten Abend südlich von Grevenmacher in die Mosel. Die übrigen Tüten wirft er in vor Mehrfamilienhäusern aufgestellte Müllcontainer.

Ende Februar 2004 beginnt eine bundesweit einmalige Polizeiaktion. 18 Tage lang  durchsuchen bis zu 80 mit weißen Schutzanzügen und Atemmasken bekleidete Einsatzkräfte die Mertesdorfer Deponie. Mitarbeiter des Zweckverbands ART haben zuvor ein 1000 Quadratmeter großes Terrain abgegrenzt, wo die etwa 150 infrage kommenden Wagenladungen Restmüll abgekippt worden sind. Die Suche endet ergebnislos. Die blauen Tüten mit den Leichenteilen werden nie gefunden.

Anfang September 2004 beginnt im alten Trierer Schwurgerichtssaal der Prozess gegen den geständigen Malergesellen. Zwei Monate lang wird verhandelt, eher der inzwischen 39-Jährige am Ende wegen Mordes zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt wird.  Wegen der „Degradierung“ des Leichnams stellt das Gericht sogar „besondere Schwere der Schuld“ fest.

Der Mörder der jungen Ingenieurin sitzt noch immer im Gefängnis.

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