POLIZEI Wenn alle Träume mit 19 an einem Baum zerschellen

Bitburg · Wie ist es, wenn ein junger Mensch bei einem Unfall stirbt? Das landesweite Polizei-Projekt „Crash-Kurs“ zeigt es Fahranfängern – und zwar schonungslos.

Bild vom „Crash Kurs Bitburg“.

Bild vom „Crash Kurs Bitburg“.

Foto: tv/POLIZEI BITBURG

(utz) „Ein 19-jähriger Mann ist mit seinem Auto zwischen Bollendorf und Wallendorf in der Nacht zum Donnerstag tödlich verunglückt. Bedienstete der Straßenmeisterei Irrel fanden ihn am Donnerstagmorgen tot im total zerstörten Wagen unterhalb einer tiefen Böschung neben der L 1. Der Leichnam musste von der Feuerwehr geborgen werden. Laut Polizei war der Wagen in einer Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen, hatte sich überschlagen und war mit dem Dach gegen einen Baum geprallt.“

Eine Meldung aus dem Trierischen Volksfreund vom 5. Oktober 2007. Sachlich, emotionslos –  eine, die so jeden Tag in irgendeiner Zeitung stehen könnte. Und oft schnell wieder vergessen wird. Nur nicht von denen, die dem Opfer nahestanden, und denen, die beteiligt waren – den Polizisten, den Feuerwehrleuten, den Rettungsassistenten.

Sie sind an diesem Tag im Haus der Jugend, um 250 Schülern der Berufsbildenden Theobald-Simon-Schule Bitburg – nach einem kurzen nachgedrehten Unfallfilm – davon zu erzählen, was in keiner Meldung steht: vom Leid und der Betroffenheit, die der Tod des jungen Mannes in ihnen ausgelöst hat. Und von dem, was nach all den Jahren geblieben ist. Zum Beispiel vom mulmigen Gefühl, das Armin Dockendorf von der Feuerwehr Körperich, der den Toten im Wald fand, immer wieder beschleicht, wenn er an der Unfallstelle vorbeifährt. Oder von der Trauer und Anspannung der beiden Polizeibeamten Rolf Deviscour und Uwe Ehlenz, die den Eltern die Todesnachricht überbringen mussten. Oder vom Leid der Opfer, das Oliver Pick von der psychosozialen Notfallversorgung des DRK Bitburg schildert.

Im Raum herrscht Totenstille, einige weinen. Warum musste der junge Mann sterben? Keiner weiß es. Bis heute. Und es wird bewusst offengelassen. Denn das sei, wie der Bitburger Polizeichef Christian Hamm erklärt, nicht Bestandteil des Projekts „Crash-Kurs“, das an diesem Tag zum ersten Mal im Bereich des Polizeipräsidiums Trier stattfindet. „Es geht darum, die Schüler emotional zu erreichen, ihnen klarzumachen, was auch ihnen schlimmstenfalls passieren kann“, sagt er. Daher würde zwar ein Unfall aus dem nahen Umfeld mit jungen Beteiligten ausgewählt. Aber mögliche Unfallursachen wie Drogen, Alkohol oder zu schnelles Fahren würden nicht thematisiert. Es gehe darum, dass plötzlich alles vorbei sein könne. Und dass das Risiko dafür umso höher sei, wenn man nicht verantwortlich handele.

Das Kooperationsprojekt von Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz, Berufsbildender Schule (BBS) Theobald Simon Bitburg und Polizeiinspektion Bitburg mit Unterstützung der Kreisverkehrswacht Bitburg-Prüm richtet sich an junge Fahranfänger, eine Risikogruppe in der Polizeistatistik. Sie konnten sich, nachdem sie über die mögliche schockierende Wirkung des Projekts informiert worden waren, freiwillig melden. Das Ziel erklärt  BBS-Schulleiter Ralf Loskill so: „In ihnen solle sich das Bewusstsein tief verankern, dass all ihre Träume plötzlich enden können.“ Ebenso wie die Luftballons, die im Haus der Jugend symbolisch zerstochen werden.

Ein Gedanke, der auch die Schülerinnen Anna Werner und Mindy Johnson, beide 18, tief trifft. „Ich fand die Aktion klasse“, sagt Anna – und Mindy pflichtet ihr bei. Sie selbst habe einmal einen Mitschüler durch einen Unfall verloren, erklärt Anna. Aber wer das noch nie erlebt habe, wisse vielleicht gar nicht, was das bedeute. Daher finde sie das Format gut. Zumal es auch in ihrem Umfeld Fahranfänger  gebe, die zu schnell oder unter Drogen unterwegs seien.

Auch Lehrer Heiko Schilken, der als Sicherheitsbeauftragter der Schule zusammen mit Religionslehrerin Gabriele Centurioni sowie Volker Zanters und Anne-Marie Kolling,  von der Polizei Bitburg das Projekt vorbereitet hat, ist überzeugt: Das Gesehene und Gehörte wird über den Veranstaltungstag hinaus Wirkung zeigen. Daher gebe es über den Veranstaltungstag hinaus das Angebot einer psychologischen Betreuung durch die Polizei. „Und auch wir werden das insbesondere im Religionsunterricht, aber auch in allen anderen Stunden, nachbereiten“, sagt er. Denn es gehe um Nachhaltigkeit und nicht darum, dass man zunächst schockiert und dann bald alles vergessen sei.

 Bildauswahl vom „Crash Kurs Bitburg“.

Bildauswahl vom „Crash Kurs Bitburg“.

Foto: tv/POLIZEI BITBURG
Wie erleben Beteiligte einen Unfall? Das ist im Haus der Jugend bei der Veranstaltung „Crash Test“ Thema.

Wie erleben Beteiligte einen Unfall? Das ist im Haus der Jugend bei der Veranstaltung „Crash Test“ Thema.

Foto: tv/POLIZEI BITBURG
Bildauswahl vom „Crash Kurs Bitburg“.

Bildauswahl vom „Crash Kurs Bitburg“.

Foto: tv/POLIZEI BITBURG

Dass es nachweisbar bei den meisten der Teilnehmern  nicht so ist, weiß Polizeioberrat Patrick Brummer von der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz, der die aus England übernommene Idee zum landesweiten Projekt mitentwickelt hat. Nach Befragungen habe man festgestellt, dass das Format „Crash-Kurs“ nachhaltige Veränderungen bei den Teilnehmern bewirke. Und das sind nicht wenige: 7000 junge Leute zwischen 17 und 21 Jahren haben landesweit seit 2015 bereits teilgenommen, und Brummer wünscht sich, dass es weitergeht. Oder, wie Schulleiter Loskill es sagt: „Das ist eine der besten Veranstaltungen, die wir je gemacht haben.“

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