Nur mit Quietsche-Entchen

Quietsche-Entchen, nur mit dir bade ich so gerne hier“, singt eine helle Stimme aus dem Badezimmer. „Ernie!“, seufzt es aus dem großen Ohrensessel, und ein dünner Mann mit langem, gelbem Kopf, einer großen Knubbelnase und strengen schwarzen Augenbrauen lässt entnervt die Zeitung sinken. „Kannst du nicht mal leise baden?“

Quietsche-Entchen, nur mit dir bade ich so gerne hier“, singt eine helle Stimme aus dem Badezimmer. „Ernie!“, seufzt es aus dem großen Ohrensessel, und ein dünner Mann mit langem, gelbem Kopf, einer großen Knubbelnase und strengen schwarzen Augenbrauen lässt entnervt die Zeitung sinken. „Kannst du nicht mal leise baden?“

Man hört ein paar nasse Tappser, und ins Wohnzimmer kommt, in ein Handtuch gewickelt, eine kleine orange Figur mit roter Nase und strubbeligem schwarzem Haar. „Entschuldige bitte, Bert! Ich wollte nur dem Quietsche-Entchen sagen, wie lieb ich es habe! Aber jetzt muss ich mich beeilen, denn Krümelmonster kommt gleich zum Kaffee.“ Ein kleiner Ausschnitt aus dem Ehe-ähnlichen Leben, das die beiden Freunde Ernie und Bert seit 35 Jahren miteinander führen.

35 Jahre alt ist auch ihr „Zuhause“, die Sesamstraße. Ernie und Bert sind, wie viele andere Figuren, Teil eines pädagogischen Konzepts, das in den USA entwickelt wurde. Die „Sesame Street“, so heißt die Fernsehsendung in Amerika, wurde damals für Vorschulkinder unterer Einkommensschichten entwickelt. Deren Lern-Defizite sollten ausgeglichen werden. Ein Team aus Psychologen, Pädagogen, Medien- und Erziehungswissenschaftlern konzipierte die „Sesame Street“, und Jim Henderson („Muppets Show“) erfand dazu die Puppen. So kamen liebenswerte „Monster“ wie Ernie und Bert, Oskar aus der Mülltonne, der hektische Grobi und das verfressene Krümelmonster auf die Welt. Am 10. November 1969 hatte die Sendung Premiere. 1970 erwirbt der Norddeutsche Rundfunk als erster Sender weltweit die Rechte an dem amerikanischen Format. Zwei Jahre später flimmert die „Sesamstraße“ in den dritten Programmen das erste Mal über deutsche Bildschirme, und 1973 erklingt der charakteristische „Der, die, das“-Song, der die erste in Deutschland hergestellte Folge einleitet – eine Mischung aus deutschen und amerikanischen Szenen.

Es dauert noch weitere drei Jahre, bis die amerikanischen Straßen-Szenen des Originals ganz weggelassen werden. Auch Oskar aus der Mülltonne, der Abfall so liebt – unvergessen sein Lied „Ich mag Müll“ –, muss die Sesamstraße aus pädagogischen Gründen verlassen. Ab 1978 tummeln sich mit bekannten Schauspielern auch Menschen zwischen den plüschigen Monstern in der „Sesamstraße“. Lilo Pulver war damals „Mama“ in der großen, bunten WG, und hatte nacheinander Henning Venske, Uwe Friedrichsen und Manfred Krug an ihrer Seite. Heute erfreuen unter anderem Dirk Bach als Zauberer und Anke Engelke die Kinder – als prominente Gaststars. Das Herzstück der Sendung aber sind nach wie vor die Monster, die mit ihren ABC- und Zahlenspielen mal chaotisch, mal altklug die Kinder belehren, ganz viel singen und lustige Abenteuer erleben – ob die schlaue Tiffy, der trottelige Samson oder der Frosch Kermit, der schon mal darüber reflektiert, was es bedeutet, „grün zu sein“. Die chaotischste Figur ist sicherlich Grobi, ein dunkelblauer Geselle, der gerne „Nah!“ und „Fern!“ japsend von links nach rechts und von vorn nach hinten über den Bildschirm stolpert. Auch das Krümelmonster mit seinem ewigen Hunger auf Kekse lieben die Kinder.

In Amerika besonders beliebt ist der große, tollpatschige Vogel Bibo, der es sogar schon auf das Titelblatt des „Time“-Magazins geschafft hat. Doch auch unheimliche Figuren gibt es: Graf Zahl ist ein Vampir wie Graf Dracula, aber er zählt lieber Dinge, als dass er Menschen beißt; Herr von Bödefeld mit seinen orangefarbenen Haaren, die er immer affektiert zurückschleuderte, war eine seltsame Figur, die gegen Ende der Sendung auftauchte und oft für Probleme verantwortlich war. Herrn von Bödefeld gab es nur bis 1988. In jenem Jahr wurden die Puppen bei einem Großbrand zerstört. Danach wurden Kulissen und Konzept überarbeitet, die Geschichten wurden kürzer, es kam noch mehr Musik dazu. Und es entstanden neue Figuren wie der griesgrämige Rumpel, der knallroten Elmo, der immer „Warum?“ fragt, die quirlige blaue Reporterin Feli Filu, das pfiffige Schaf Wolle und sein vergesslicher, verfressener Freund „Pferd“, der ein großes Herz hat. Gemeinsam geben die beiden jüngsten Figuren Wolle und Pferd ein richtiges Comedy-Duo, wie es sich für moderne Zeiten gehört. Bei allen Veränderungen – etwas ist gleich geblieben: Ernie liebt immer noch sein Quietsche-Entchen.

Birgit Pfaus-Ravida

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