Pilgerstätte für Pizzafans

Die erste Pizza kommt aus Neapel, der Welthauptsstadt der Pizza. Die erste, eine Margherita, kam 1889 erstmals aus dem Ofen

Ehe man sich versieht, hat Emanuele mit seinen flinken Händen schon wieder zwei Pizzaräder geformt. Darauf kommt ein enormer Klacks Tomatensugo, eine gute Handvoll von dem würzigen Mozzarella, dazu dann noch ein halbes Dutzend Basilikumblätter aus der Schüssel – und ab mit den Pizzen in den Ofen. Denn die hungrige Kundschaft von „Da Michele“ wartet schon ungeduldig, das Messer und die Gabel in der Hand.

Es handelt sich, kein Zweifel, um Ausländer. Denn die Neapolitaner an den engen Tischchen nebenan haben alle das Besteck beiseitegeschoben. Sie haben das runde Stück, das von hier aus seinen Siegeszug rund um die Welt angetreten hat, allerhöchstens angeschnitten und dann flugs zusammengeklappt in die Hand genommen. Denn das ist Alltag in Neapel, der Welthauptstadt der Pizza, und das „Da Michele“ unweit des Hauptbahnhofs der kampanischen Metropole ist eine der Pilgerstätten der Pizzafans.

Emanuele, der junge Neapolitaner, ist der Pizzaiolo bei „Da Michele“, dieser etwas herunter gekommenen, schlicht eingerichteten, aber immer proppenvollen Pizzeria in der Via Cesare Sersale. Und er hat täglich einen Ruf zu verteidigen. Denn die Reiseführer preisen dieses kleine Restaurant als die beste Pizzeria in einer Stadt, die sich rühmt, die beste Pizza Italiens zu machen. Wirklich die beste? Das ist sicherlich Geschmackssache. Doch was nach einigen Minuten da aus dem offenen Ofen kommt, wird an den Tischen rundum begutachtet, in den Sprachen der Welt diskutiert und abgelichtet fürs Fotoalbum. Und dann mit Neugierde, Heißhunger und Vergnügen verzehrt – um nach den ersten Bissen erneut wortreich benotet zu werden.

Wer „Napoli“ hört, dem fällt sofort die Pizza ein. „Die Pizza ist so rund, wie der Golf von Neapel, der, umfasst von der sorrentischen Küste, von Capri, Ischia und Pròcida, eine Mulde bildet“, mit dieser Würdigung hat der neapolitanische Autor Domenico Rea einst der Pizza literarisch ein Denkmal gesetzt. Und ihren oftmals angesengten Rand mit dem „verkrusteten Küstenstrich“ verglichen. Dies kann ihm doch nur nach einem kalorienreichen Besuch bei seinem Pizzabäcker in den Sinn gekommen sein. Bei welchem Pizzaiolo auch immer, davon scheint es in Neapel fast so viele zu geben wie Sand an der Amalfi-Küste. Auch wenn die von der „Mamma“ hausge- machten Makkaroni nicht mehr so häufig wie ehedem der Wäsche gleich in den Gassen von Neapel zum Trocknen aufgehängt werden – die lärmige, chaotische, von Müll und Mafia umzingelte Stadt am Golf hat aus den Töpfen, Pfannen und Öfen das gezaubert, was die Welt so unter „italienischer“ Küche versteht, sofern nicht die feine Kochkunst der Toskana oder Bolognas gemeint ist.

Und die Königin ist jene Pizza, die zusammen mit der Pasta alle Mägen der Millionenstadt erobert, auch wenn sie nach dem Siegeszug um die Welt vor allem mit Blick auf das Touristenheer in Neapel erst wieder richtig in Mode kommen musste. Die entscheidenden Trümpfe für sie in einer Stadt, die immer mit Armut zu kämpfen hatte und allen Klischees zum Trotz doch kein Ort des süßen Nichtstuns ist: So ein Rad zum Anbeißen ist einfach, preiswert und auch schnell gemacht. Was als „Straßenkind“ die Karriere begann, an jeder Ecke für ein paar Münzen als kleines Stück („pizzetta“) feilgeboten wird, das kostet bei „Michele“ auch heute nur ein paar Euro.

Auch wenn die römischen Leckermäuler die Nase rümpfen, weil sie ihr Hefe-Rund lieber flach und knusprig gebacken auf den Tisch bekommen wollen, Emanuele macht sie „neapolitanisch“ – ein von der Hefe aufgeblähter Teig mit hoher Kante, wobei der üppig verteilte Tomatensugo alles zu durchtränken droht. Ob das auch so sein sollte, kann Ansichtssache bleiben. Diese Pizza-Hochburg bietet auch nur zwei Sorten an – Margherita (Tomaten, Mozzarella und Basilikum) sowie Marinara mit Oregano und Knoblauch. Vor allem frisch muss alles sein, das ist das beste an dem Rezept. Neapel legt Wert darauf, im 18. Jahrhundert die einzig wahre Version – „la vera pizza napoletana“ – dieser Leckerei kreiert zu haben.

Ein verstaubtes Kirchendokument von 1535 erwähnt diese Art Kuchen oder Teigwaffel. Zu jener Zeit war auch die Tomate nach Italien gelangt. In der Salita S. Anna di Palazzo, nicht weit entfernt von Neapels Opernhaus Teatro San Carlo, wird auf eine andere Jahreszahl höchster Wert gelegt. Das Jahr 1889 ist für die Pizzeria „Brandi“, die auch Pasta, Fisch und Fleisch auf ihrer Karte hat, der Schlüssel zu einem ungebrochenen geschäftlichen Erfolg. In dem hübschen Lokal der Salita-Gasse wurde damals die erste Pizza Margherita aus dem auf bis zu 250 Grad erhitzten Holzofen geholt.

Benannt wurde sie nach der Gattin von Umberto I., Königin Margarethe. Den Ausschlag für die Güte gibt der Mozzarella, der möglichst aus Büffelmilch hergestellt sein soll. Etwas kaltgepresstes Olivenöl tut das Seinige dazu, und das Ganze schlägt die nationale Seite des Italieners an: Grün, weiß und rot (Basilikum, Mozzarella, Tomaten), das ergibt die Nationalflagge. Ihren Siegeszug hat die Pizza längst weltumspannend vollendet: Von dem trivialen Produkt amerikanischer Fast-Food-Ketten bis hin zu dem köstlichen Handwerksprodukt eines begabten Bäckers.

Neapel, so heißt es, möchte seine Pizza mit dem Etikett einer kontrollierten Herkunftsbezeichnung schützen und damit aufwerten. Die Pizza als ein Weltkulturerbe der Unesco? Das vielleicht doch nicht – jedoch als zeitloser Küchenklassiker für besonders eilige Leute, wie es die Neapolitaner nun einmal sind. Ein Besteck ist da überflüssig, und das Tischtuch auch.

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