Falsche Scham kann fatale Folgen haben

Kommt die Rede auf Beschwerden am After, scheint die Ursache rasch gefunden: „Ich habe Hämorrhoiden“, heißt es dann. Plagte schon Eltern oder Großeltern eine Vergrößerung der abdichtenden Gefäßpolster des Enddarms, fühlen sich Betroffenen in ihrer Selbstdiagnose bestätigt.

Kommt die Rede auf Beschwerden am After, scheint die Ursache rasch gefunden: "Ich habe Hämorrhoiden", heißt es dann. Plagte schon Eltern oder Großeltern eine Vergrößerung der abdichtenden Gefäßpolster des Enddarms, fühlen sich Betroffenen in ihrer Selbstdiagnose bestätigt. "Oft werden alle Beschwerden am After als Hämorrhoiden gedeutet", weiß Dr. med. Peter Werle. Der Oberarzt der Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier warnt: "Häufig verbirgt sich hinter ein- und demselben Symptom eine sehr unterschiedliche Erkrankung."

Der Proktologe will keine Panik verbreiten, doch rät er, bestimmte Symptome immer abklären zu lassen. Das gelte bei Bluten, Brennen und Jucken im Bereich des Afters ebenso wie bei Nässen oder Stuhlschmieren, Schwellungs- oder Vorfallgefühl. Oft liegen solcherart Auffälligkeiten Hämorrhoiden in unterschiedlichen Stadien zugrunde, doch können auch Krankheitsbilder wie Fisteln, Abszesse oder eine Analfissur dahinterstecken. Schlimmstenfalls liegt ein bösartiger Tumor des Enddarms oder Afters vor.Letzteres ist sehr selten, in einer Stadt von der Größenordnung Triers wird diese Diagnose kaum mehr als zwei Mal im Jahr gestellt, beziffert Professor Dr. med. Detlef Ockert, Chefarzt der Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie des Brüderkrankenhauses. Zum Vergleich: Darmkrebs tritt 50 Mal häufiger auf. Doch während hier die Erkrankungszahlen abnehmen, wird das Analkarzinom zunehmend häufiger diagnostiziert. Frühe Stadien verlaufen oft unbemerkt, als "Schuldigen" hat man das Humane Papillomavirus (HPV) ausgemacht. Löst dieses eine Zellwucherung aus, kommt es entweder zu gutartigen Veränderungen in Form von Anal- oder Genitalwarzen, oder zu einem bösartigen Karzinom.

Die Mediziner appellieren, bei Beschwerden im Bereich des Afters und Enddarms nicht aus falsch verstandener Scham den Gang zum Arzt zu scheuen. Das gilt etwa bei Blut im Stuhl: Dieses könnte einen ersten sichtbaren Hinweis auf einen Enddarmtumor liefern. Feststellen lässt sich das durch eine Spiegelung, sagt Dr. med. Michael Knoll, Leitender Oberarzt der Abteilung für Innere Medizin I. Der Gastroenterologe rät eindringlich, die von niedergelassenen Fachärzten durchgeführte Vorsorge-Koloskopie wahrzunehmen, oder aber einen seit kurzem ebenfalls von den Kassen gezahlten immunologischen Stuhltest. In rund 80 Prozent der Fälle liegt einem Tumor ein Darmpolyp zugrunde. Da diese in aller Regel sehr langsam wachsen und sich erst binnen eines Jahrzehnts zu einem Tumor entwickeln, lasse sich das Übel bei der Wurzel packen und das Karzinom oft schon im Keim ersticken, noch bevor es zu einer bösartigen Zellwucherung gekommen ist.

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