Mut zum Fragen, Mut zum Sprechen –

Schwere Erkrankungen am Arbeitsplatz thematisieren.

Bei einer schweren Erkrankung ist es nicht nur der Betroffene selbst, der lernen muss damit umzugehen. Neben der Familie sind es bei Berufstätigen auch die Kollegen und die Vorgesetzten, die die Situation meistern müssen. Darüber, was am Arbeitsplatz erlaubt und erwünscht ist, spricht Brigitte Bogdanski im Interview. Sie ist leitende Diplom-Psychologin im Trierer Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen. Sie kümmert sich nicht nur um Patienten mit schweren Erkrankungen, sondern ist auch für die Mitarbeiter Ansprechpartnerin in Krisensituationen rund um den Arbeitsplatz.

Wenn ein Kollege oder eine Kollegin wegen einer schweren Erkrankung wie zum Beispiel Krebs eine Zeitlang nicht arbeiten kann, dürfen der Vorgesetzte und die Kollegen ihm gute Besserung wünschen, ihn anrufen oder über die Sozialen Medien kontaktieren?
Für diese Situation gibt es keinen Königsweg, denn jeder Mensch ist anders und hat ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Jede einzelne Situation ist anders. Es ist ganz wichtig zu schauen, in welchem Vertrauensverhältnis die Kollegen zueinander stehen. Es sollte auch darauf geachtet werden, in welcher Phase sich der kranke Kollege gerade befindet. Oft muss man Kollegen auch vor weiterem Stress schützen. Mitleid kann auch überfordern.

Wenn der oder die Erkrankte grundsätzlich offen ist für einen Kontakt - was können die Kollegen tun?
Im akuten Krankheitsfall soll der Arbeitgeber Interesse zeigen und Genesungswünsche zum Beispiel per Postkarte nach Hause schicken. Auch ein Buchgeschenk kann ein passender Gruß sei. Er soll sich kümmern, darf dadurch aber keinesfalls Druck ausüben.

Der Kollege/die Kollegin möchte alleine sein, ist das in Ordnung?
Sollte die erkrankte Person keinen Kontakt wünschen, ist dies selbstverständlich zu respektieren. Sie kann selbst oder über eine Vertrauensperson mitteilen, dass sie sich Ruhe wünscht und ihr kein Kontakt derzeit am besten bekommt. Bei einem stationären Aufenthalt ist es durchaus üblich, über das Pflegepersonal zu regulieren, wer zu Besuch kommen darf.

Ist es sinnvoll, hierüber mit einem Angehörigen des kranken Kollegen zu sprechen?
Wenn der Vorgesetzte vorab bei einem Angehörigen nachfragt, in welcher Form er Kontakt aufnehmen darf, ist dies sicher hilfreich. Denn der Betroffene soll seine Bedürfnisse offen artikulieren. Das ist das Wichtigste. Erkrankte dürfen auf alle Fälle auch sagen, dass sie nicht über ihre Erkrankung sprechen oder dass sie gar keinen Kontakt haben möchten. Das muss immer akzeptiert werden.

Welche Ängste haben die Betroffenen nach einer schweren Diagnose?
Wir erleben bei unseren Patienten ganz oft, dass sie Angst haben, ihren Job zu verlieren und auch die Angst vor sozialem Abstieg ist immer wieder Thema in meinen Beratungen. Sie haben Angst, gerade darüber mit ihrem Arbeitgeber zu reden. Hier kann ich nur an den Erkrankten appellieren: Haben Sie Mut zum Fragen und Mut zum Sprechen! Denn in den allermeisten Fällen stoßen sie auf großes Verständnis - obwohl genau das die meisten nicht erwartet haben.

Was genau können Erkrankte mit ihrem Chef thematisieren?
In der Gesellschaft ist es verbreitet, Angst davor zu haben, Schwäche zu zeigen. Nach außen hin wird dies tabuisiert. Genau deshalb sollten die Erkrankten aktiv auf ihren Arbeitgeber zugehen und mit ihm darüber sprechen, wie der Arbeitsplatz entsprechend gestaltet werden kann: Ist es möglich, in Teilzeit zu arbeiten? Wie lange dauert die Rehaphase? Kann die Stelle auf befristete Zeit reduziert werden? Bei einem guten Arbeitsverhältnis wird der Vorgesetzte auf alle Fälle daran mitarbeiten, die Wiedereingliederung tatkräftig zu unterstützen.

Ist der Firmenchef automatisch auch immer der Richtige für diese Fragen?
Gesprächspartner in großen Unternehmen können der Betriebsarzt, ein psychologisch arbeitender Mitarbeiter oder auch ein Kollege aus der Mitarbeitervertretung sein. In kleineren Firmen ist es der Vorgesetzte oder Inhaber, mit dem der Erkrankte sprechen sollte. Zum Gespräch kann man immer auch eine Vertrauensperson mitnehmen.

Was ist Ihre Faustformel für den Umgang mit einem ernsthaft erkrankten Kollegen?
Wechseln Sie die Perspektive und überlegen Sie ganz praktisch: Was würde mir in diesem Moment guttun?

Chronisch kranke Kollegen sind manchmal im Tagesablauf beeinträchtigt. Darf man das thematisieren?
Kollegen dürfen auf alle Fälle fragen, wie man in einer eventuell kommenden Situation helfen kann. Wenn die Kollegen zum Beispiel bei einem epileptischen Anfall oder einem Zuckerschock wissen, was zu tun ist, schützt das ja auch den Erkrankten. Es ist immer gut, Halbwissen zu Wissen zu machen. Indem man seine eigene Unsicherheit benennt, baut man auch Vertrauen für einen sicheren Umgang auf beiden Seiten auf.

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