Prickelndes Vergnügen

Nur bei wenigen Themen reden alle Generationen gerne mit. Das Brausepulver ist ein solches. Es vereint Kinder und Senioren, Arme und Reiche, Leute vom Land und die aus der Großstadt in prickelnder Runde. Zu verdanken ist das Theodor Beltle. Er entdeckte vor 80 Jahren einen Grundstoff, der in Verbindung mit frischem Wasser „aufbrauste“.

Brauseerlebnisse sprudeln seither aus manch einem nur so heraus. Erinnerst du dich an die knisternden Tütchen? An den blau gekleideten, allzeit lächelnden Matrosenjungen, der in seiner rechten Hand die Fahne mit dem Schriftzug „Ahoj“ schwenkt? Aber natürlich ... und ... hhhllll ... da ist’s auch schon geschehen: Die Nase kräuselt sich, das Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, im Mund bildet sich eine süß-säuerliche Pfütze: „Iiihhh!“ Kaum zu glauben, wie schnell sich ein Gedanke in Geschmack wandeln kann. Das Brausepulver macht’s möglich. Heute wie vor 80 Jahren. Ein Stück Kulturgeschichte, das über die Gegenwart hinaus schäumen wird. Nostalgie und Neugier. 100 Millionen Tüten Brausepulver laufen Jahr für Jahr vom Band.

Das hat sich Theodor Beltle vermutlich nicht träumen lassen, als er zunächst sich selbst und dann die Öffentlichkeit im Januar 1925 mit einer prickelnden Idee überrascht: Der Stuttgarter Kaufmann experimentiert damals mit Natron und Weinsäure, gibt ein wenig Flüssigkeit hinzu – zischschsch. Beltle sieht, dass Kohlensäure entsteht und hat wenig später eine Vision: Daraus will er ein „herrlich prickelndes Volksgetränk“ schaffen! Erfunden, gedacht, getan: Gemeinsam mit seinem Schwager Robert Friedel gründet Theodor Beltle ein Unternehmen, das zunächst Brause in Form von Trinktabletten in den Geschmacksrichtungen Zitrone und Orange herstellt. Das Geheimnis steckt also im Zusammenspiel von Natron und Weinsäure.

Die beiden Erfolgsgaranten werden zunächst getrennt und damit als recht wirkungslose Trinktabletten hergestellt und – jeweils in Silberfolie verpackt – paarweise verkauft. Erst im Glas Wasser vereint, sprudelt der Geschmack und mit ihm die Begeisterung. Ein Tütchen kostet in den 20er Jahren ein, zwei oder fünf Pfennige. Brause wird tatsächlich zum Volksgetränk, vor allem in den heißen Sommermonaten. Sie erfrischt, ist preiswert und praktisch zugleich. Erst recht, als statt der getrennten Tabletten fertig gemischtes Pulver auf den Markt kommt und um die Geschmacksrichtungen Waldmeister und Himbeere erweitert wird. Aus der „Friedel-Brause“ wird 1932 die „Frigeo Ahoj-Brause“. Und als Robert Friedel fünf Jahre später stirbt, ist Theodor Beltle der alleinige „Kapitän“. Er gerät mit dem Unternehmen während des Krieges in schweres Fahrwasser. Der Mangel an Rohstoffen zwingt zeitweilig sogar zur Einstellung der Produktion. Das Schiff gerät in Seenot, aber es geht nicht unter. „Ahoj“ heißt es bald nach dem Krieg lauter denn je.

Die Produktion sprudelt auf vollen Touren, und der sympathische Matrose auf dem knisternden Tütchen lächelt weiter. Er geht durch alle Hände, denn die Brause ist in aller Munde. Ob in ärmlichen Verhältnissen oder in prunkvoller Atmosphäre – jeder kennt sie, die meisten mögen sie. Als Theodor Beltle 1949 stirbt, hat er sein Kaufmannsziel erreicht, sogar übertroffen. Die Söhne Robert und Theodor junior führen sein Lebenswerk fort, bauen in Remshalden-Geradstetten bei Stuttgart das Frigeo-Werk, wo Deutschlands einziger Brauseproduzent noch heute arbeitet und mit der weltbekannten Brause einen 20-Millionen-Jahresumsatz macht. Ein haushohes Außenwandmosaik mit einem Glas Brause unter dem Firmenstern steht sogar seit zehn Jahren unter Denkmalschutz – als „gutes und zugleich zeittypisches Bilddokument der 50er Jahre“, wie das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg urteilte.

Seit 2002 gehört Ahoj-Brause zwar zum Zuckerwarenriesen Katjes, der prickelnde Kurs aber wurde beibehalten. Barbara Jandaurek kennt den Großvater vor allem aus Erzählungen ihres Vaters Robert. Und durchs Brausepulver natürlich. Sie ist fünf, als Erfinder Theodor Beltle stirbt. Kreativ und pfiffig ist er gewesen, hört die Enkeltochter. Und auch, dass es ihrem Opa mächtig Spaß machte, wenn sich Kinder und Erwachsene an seinem Brausepulver erfreuten. An ihre erste Brause-Begegnung kann sich Barbara Jandaurek nicht mehr erinnern, sie weiß nur: „Ich bin damit aufgewachsen.“ Himbeere, Waldmeister, Zitrone – klar, die drei Hauptgeschmacksrichtungen tun es ihr an. „Am liebsten habe ich das Pulver aus der Hand geschleckt“, erzählt die Brause-Enkelin lachend und ergänzt: „Das war doch normal, oder?“ Wer kennt es nicht. Barbara hatte den anderen Kindern natürlich voraus, dass sie an der prickelnden Quelle saß – und meist ein Tütchen in der Tasche hatte. „Obwohl mein Vater darauf achtete, dass wir nicht zuviel bekamen.“

Ob bei der Brause-Familie oder Otto-Normalverbraucher – selten ranken sich Gespräche über ein Produkt gleichsam um Vergangenheit und Gegenwart, selten können die Alten ihren Enkeln Paroli bieten nach dem Motto: „Das gab es schon damals bei uns“. Die Geschichte des Brausepulvers erzählt viele Geschichten. Zum Beispiel über die Art und Weise, zum Genuss zu gelangen. Etwa so: Das Tütchen aufreißen, den (wie auch immer) angefeuchteten Finger eintauchen und mit Kristallen behaftet wieder herausziehen, in den Mund stecken – brrrhhh. Oder so: Die Innenhand zu einer Kuhle formen, Pulver reinstreuen und mit der Zunge ablecken – iiihhh. Diese Kuhlenmethode lässt sich variieren, das ist nicht ganz gesellschaftsfähig, aber jeder hat’s wohl schon mal probiert: Pulver in die Kuhle und ein wenig Speichel tropfen lassen – das schäumt prächtig und farbenfroh. Nicht jeder allerdings wird auf ein derart prickelndes Erlebnis zurückblicken können wie der kleine Oskar aus der „Blechtrommel“.

Von Brause-Erinnerungen freisprechen aber wird sich kaum einer, denn die Familie Beltle verstand es, für ihr „Volksgetränk“ zu werben: Ihre Brause „steht für einzigartigen Genuss, den sich alle leisten können und gerne gönnen“. Wer wollte da abseits stehen? Wie gut tat es, mit dem bunten „Hausgetränk für jedermann“ in Sekunden dem Grau der Nachkriegsjahre zu entfliehen und die Lebensgeister zu wecken. Sich nach Freiheit und Weite zu sehnen wie sie der Matrosenjunge auf den knisternden Tütchen erlebt. Schmetterlinge im Bauch zu haben beim Picknick mit der ersten Liebe und ein Prickeln auf der Zunge beim Genuss der gemeinsamen Brause. Das kleine Glück für einen Groschen.

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