Interview US-Experte in Rheinland-Pfalz: „Die USA können jetzt endlich mit dem 11. September abschließen“

Trier · Der US-Experte spricht über die Folgen der Anschläge und über die Gründe für das Scheitern des Afghanistan-Einsatzes.

Gedenken an 9/11 auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem
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Gedenken an 9/11 auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem

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Foto: TV/Hans-Peter Linz

() Was hat der 11. September 2001 mit den USA gemacht und wie hat sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika durch die Anschläge verändert. Darüber sprachen wir mit David Siakov. Er ist Leiter der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern. Der US-Experte Sirakov (45), ist Politikwissenschaftler. Er hat studiert in Trier und leitet seit 2015 die von der Landesregierung gegründete Akademie.

Herr Sirakov, welche Erinnerung haben Sie an den 11. September 2001?

DAVID SIRAKOV Ich machte im Rahmen meines Studiums ein Praktikum in Hamburg. Als ich aus dem Büro zurück in meine Wohnung kam, habe ich im Fernsehen dann die brennenden Türme gesehen. Mir war schnell klar, dass das auf eine militärische Auseinandersetzung hinauslaufen werde. Die USA wurden auf ihrem eigenen Grund und Boden angegriffen, zum ersten Mal seit Pearl Habor 1941. Daher konnte es nicht lange dauern, bis die Antwort auf die Anschläge erfolgen würden.

Es hat Sie also auch nicht überrascht, dass einen Tag später der Nato-Bündnisfall ausgerufen wurde?

SIRAKOV Bei einem Angriff einer solchen Weltmacht und einer solchen militärischen Macht wie der USA, also ein Angriff auf ein Nato-Mitglied, war es folgerichtig, dass erstmals der Bündnisfall ausgerufen wurde und die kollektive Verteidigung gegriffen hat.

Was folgte war der Militäreinsatz in Afghanistatn, der ja nun gerade erst sehr unrühmlich geendet ist. Aus heutiger Sicht: War der Einsatz richtig?

SIRAKOV Es gab damals keine Diskussion darüber. Es gab eine UN-Resolution und den Nato-Beschluss. Die USA haben von dem im Völkerrecht verankerten Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht. Damit war der Einsatz gerechtfertigt. Daher halte ich es für ungerecht, aus heutiger Sicht den damaligen Militäreinsatz zu bewerten. Entscheidend ist, was in den vergangenen 20 Jahren geschehen ist und welche falschen Entscheidungen in dieser Zeit getroffen wurden.

Woran denken Sie konkret?

 David Siakov, Leiter der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern.

David Siakov, Leiter der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern.

Foto: Landtag RLP/A. Linsenmann

SIRAKOV Die USA haben mit ihrem Krieg gegen den Terror auch ein Stück weit ihre eigenen Werte verraten, etwa mit dem Gefangenenlager Guantanamo, in dem Terrorverdächtige ohne vorherigen Prozess inhaftiert wurden. Sie haben damit die Werte, die sie in die Welt tragen wollten, also Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, über Bord geworfen. Die eigenen Ideale wurden mit Füßen getreten. Auch das trägt dazu bei, dass seit einiger Zeit der Afghanistan-Einsatz sehr viel kritischer gesehen wird.

Aber der Einsatz war doch nicht erfolgreich gewesen.

SIRAKOV Die Problematik, die sich damals stellte, war: Nicht Afghanistan als Staat hat die USA angegriffen, sondern die Terrororganisation Al Kaida. Trotzdem war der Einsatz gerechtfertigt, weil das erklärte Ziel war, diejenigen zu fassen, die die Anschläge zu verantworten hatten und das Land, in dem diese Terroristen beherbergt werden und unter Schutz stehen, so zu verändern und zu stabilisieren, dass es nicht mehr der Ort des internationalen Terrorismus sein wird. Und damit eben auch die USA und ihre Alliierten künftig besser geschützt sind vor Terroranschlägen. Durch den Einsatz wurde verhindert, dass Afghanistan zum Zentrum des internationalen Terrorismus geworden ist. Allerdings hat sich schon vor einiger Zeit gezeigt, dass das ein Land ist, das nicht tatsächlich zu befrieden ist. Seit mehr als zehn Jahren mehren sich die Stimmen in den USA und bei ihren Alliierten, dass man aus Afghanistan abziehen sollte. Daher darf man sich nun nicht über das desaströse Ende des Einsatzes zu wundern. Das Ziel, die Taliban als Macht aus dem Land zu verbannen, ist nicht gelungen.

Aber wie konnte es zu diesem Scheitern kommen?

SIRAKOV Den USA und ihren Verbündeten ist es nicht gelungen, die Herzen und die Köpfe der Menschen in dem besetzten Land zu gewinnen. Das fällt der internationalen Staatengemeinschaft nun auf die Füße.

Was hat der 11. September mit den USA gemacht?

SIRAKOV Jetzt unter Präsident Biden sind die USA endlich so weit, mit den Folgen des 11. September 2001 abzuschließen. In den vergangenen Jahren hat sich in den USA der Eindruck verfestigt, dass durch die Kriege in Afghanistan und im Irak die Innenpolitik und die nationalen Herausforderungen der USA nicht im Mittelpunkt standen. Das wiederum hat zu einer Polarisierung der Gesellschaft und der Politik geführt. Die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit der Politik wurde immer größer. Und das hat erst einen Donald Trump im Weißen Haus möglich gemacht. Trump hat ja den Menschen versprochen, den Militäreinsatz in Afghanistan zu beenden.

Welche Folgen hat der 11. September für das deutsch-amerikanische Verhältnis?

SIRAKOV Die Anschläge selbst haben kurzfristig zu einer Einigkeit im westlichen Bündnis geführt. Diese Einigkeit hat nicht lange gehalten. Als die USA auch Irak angegriffen haben, weil sie vorgaben, dass dieser eine Atommacht sei, was sich ja als falsch herausgestellt, hat das zum Zerwürfnis geführt. Aber insgesamt hat der 11. September nicht zu einem Bruch oder einer Zäsur in den transatlantischen Beziehungen geführt.

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