Königsbesuch Alles Käse? So wahr sind kulinarische Klischees über Holland

Trier/Den Haag · Ja, sie frittieren selbst Reis und Rinderragout. Unsere Autorin erklärt, warum die niederländische Küche dennoch deutlich besser ist als ihr Ruf.

 Niederländer lieben Käsebrot.

Niederländer lieben Käsebrot.

Foto: Marieke den Boer - de Mos

Es gibt da, denkt man an die Niederländer, so ein paar kulinarische Klischees. Sie frittieren oder zerstampfen alles, was sich nicht wehrt? Sie verreisen nie ohne ihren eigenen Käse? Sie essen rohen Fisch mit den Fingern? Sie trinken den billigsten Wein? Kurz: Gourmands sollten besser gleich nach Frankreich fahren?

Alles Unsinn? Der Besuch von König Willem-Alexander und Königin Máxima ist ein schöner Anlass, mit ein paar Vorurteilen über unsere Nachbarn aufzuräumen – ähm, soweit das geht.

Eines vorweg: Nicht alles ist erfunden. Und doch ist eine Genuss-Reise in die Niederlande sehr zu empfehlen. Es ist ein Land im kulinarischen Aufbruch, in dem es so gesellig zugeht wie in wenigen anderen. Und: Geschmackliche Überraschungen sind garantiert. Denn manches gibt es einfach nur dort.

Das fängt schon beim Frühstück an. Mit dem „Hagelslag“ – das sind Streusel aus Schokolade oder bunt gefärbtem Zucker –, die nicht nur Kinder morgens voll Vergnügen aufs Brot (und sonstwohin) streuseln. Wem das zu süß ist, der nimmt ein „Broodje kaas“, ein Käsebrot, das übrigens auch das klassische holländisches Mittagessen darstellt. Warme Speisen kommen in der Regel erst abends auf den Tisch.

Weil holländischer Käse aus holländischer Sicht einfach der leckerste ist, geht der Gouda tatsächlich oft pfundweise mit auf die Reise. Wobei er gar nicht Gouda heißt, sondern Bauernkäse. Den gibt es in verschiedenen Altersstufen zu kaufen: jung, „belegen“ (mittelalt), „oud snijbar“ (alt, aber noch zu schneiden) und Bröckelkäse. Je älter, desto würziger wird’s. Dabei bleibt er immer schön rund im Geschmack. Kurz: Kein Vergleich mit dem Gouda in deutschen Kühlregalen. Also: lieber mal mitnehmen. Im Wohnwagen ist ja reichlich Platz.

 Der Käsemarkt rund ums historische Rathaus von Gouda ist ein beliebtes Touristenspektakel.

Der Käsemarkt rund ums historische Rathaus von Gouda ist ein beliebtes Touristenspektakel.

Foto: TV/Katharina de Mos

Auch ein weiteres Klischee hat einen wahren Kern: Die Niederländer haben zweifellos ein Faible für Frittiertes. Sogar Fleisch-Ragout, bestes Fischfilet und Nasi-Reis landen im heißen Fett. Der Klassiker sind die „frietjes“ (Fritten), wobei das Suffix „jes“ das Wort verniedlicht, was so gar nicht zu den Soßen passen will, die zur Auswahl stehen: „speciaal“ mit gefährlich vielen rohen Zwiebeln oder „oorlog“ (übersetzt: Krieg) mit klebrig-brauner Erdnusssauce. Klassiker Nummer zwei ist die „frikandel“ – ein unförmiges Hackwürstchen, so unansehnlich, dass es meist unter Bergen besagter speciaal-Soße versteckt wird. Es folgen allerlei schmackhafte Kroketten, Bällchen oder Käsesoufflés. Alles nicht vom Diätberater empfohlen. Und in großen Städten für rund einen Euro auch alles „aus der Mauer“ zu haben: aus Automaten, die die Snacks warmhalten.

Das gilt auch für „Bitterballen“ (runde Rinderragout-Kroketten), die wohl beliebtesten „Borrelhapjes“ (Snacks zum Schnaps, Wein oder Bier) – womit wir bei einer der geselligsten Gepflogenheiten wären. Was dem Italiener der Aperitiv, ist dem Niederländer der Borrel (wörtlich Schnaps). Schon mal gewundert, warum man in Kneipen gegen fünf Uhr keinen freien Platz mehr findet? Es ist Borrelzeit! Da sitzt man mit Freunden gemütlich und „kletst“ (quatscht), trinkt dazu eins der vielen Biere, die jede Karte bietet, oder einen Jenever (Wacholderschnaps) und bestellt sich „bitterballen“. Genau wie Käsewürfel werden die in Senf getunkt.

 Bitterballen dürfen zum Borrel nicht fehlen – sie sind der perfekte Begleiter zum Feierabendbier.

Bitterballen dürfen zum Borrel nicht fehlen – sie sind der perfekte Begleiter zum Feierabendbier.

Foto: picture alliance / dpa-tmn/NBTC

Abends gibt es dann – wenn man es traditionell mag – Erbsensuppe, Hackbällchen mit Blumenkohl oder „Stampot“: Kartoffeln, die mit anderem Gemüse gestampft werden. Nicht selten mit bitterem Endiviensalat, weshalb jede Menge Speck darüber geschüttet wird, bis die Mischung schmeckt. Jüngere Leute kochen allerdings nur selten so. Und Restaurants servieren diese deftigen Speisen auch kaum. Denn anders als die Deutschen haben die Niederländer ihre einfache, traditionelle Küche noch nicht wieder schätzen gelernt oder verfeinert. Aus deutscher Sicht überraschend: So gewöhnlich wie Kartoffelstampf sind für niederländische Gaumen auch chinesisch-indonesische Gerichte wie Reistafel oder Satéspießchen. Auch surinamesische Imbisse, die es in größeren Städten zuhauf gibt, spiegeln die koloniale Vergangenheit der Seefahrernation wider – und die würzigen Schmorfleischgerichte schmecken fantastisch. Ohnehin ist die Auswahl internationaler Restaurants riesig. Die Qualität steigt seit Jahren – und mit ihr die Zahl der Sternerestaurants: 105 sind es inzwischen, davon haben drei drei Sterne und 17 zwei Sterne. Beliebte Kochshows tragen dazu bei, dass auch zu Hause mit Leidenschaft an neuen Geschmackserlebnissen gearbeitet wird.

Spätestens, wenn man durch die neue Markthalle in Rotterdam schlendert, muss man das Vorurteil begraben, die Niederlande seien kulinarisches Niemandsland. Bunt stapeln sich Gebäck und Gemüse, Pilze und Pralinen, Fisch, Fleisch und exotische Früchte, deren Namen man noch nie gehört hat. Hier riecht es nach Apfelkuchen, dort nach „stroopwafels“, Lakritz, Backschinken, Ziegenkäse, Currygewürz, Meeresfrüchten, Räucherwürstchen oder gebackenem „Kibbeling“ (frittierten Fischstückchen). Alles ist frisch. Fast überall darf man probieren. „Lekker!“

Draußen, auf dem größten Markt der Niederlande, essen die Menschen rohen Hering tatsächlich mit der Hand, indem sie das zwiebelbedeckte Filet einfach an der Flosse hoch über den Mund halten und zubeißen. „Eet smakelijk!“ Guten Appetit!

Natürlich werden in einem guten Restaurant auch gute Weine serviert. Dennoch scheint etwas dran zu sein, dass Niederländer es günstig mögen: Nach Auskunft der Industrie- und Handelskammer Trier wurden 2018 5,3 Millionen Liter Landwein (das ist die niedrigste Qualitätsstufe) aus Rheinland-Pfalz in die Niederlande exportiert. So viel wie in kein anderes EU-Land. Aber wer weiß, was passiert, wenn König Willem-Alexander und Königin Máxima ihren Landsleuten demnächst von einer schönen Mosel-Spätlese vorschwärmen?

Unsere Autorin ist mit einem Niederländer verheiratet und Liebe geht bekanntlich durch den Magen. In den vergangenen acht Jahren hat sie die kulinarischen Eigenarten seines Heimatlandes ausgiebig studiert. Ihre Favoriten: mittelalter Ziegenkäse (vom Markt),  Frühlingsbockbier und Bitterballen (zum Borrel), surinamesische Brötchen mit geschmortem Lammfleisch (beim Shopping), Oliebollen und Appelflappen (an Silvester), Vanillevla (zum Nachtisch), Frikandelbroodje (für die Heimfahrt).

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