Gastronomie Alles korrekt? Macht 100 Euro!

Longuich/Trier/Mainz · Die Trierer ADD spürt mit Testkäufern Gaststätten auf, die sich nicht an den Jugendschutz halten. Kritiker hinterfragen, warum die Kontrolle auch ohne Verstoß Gebühren kostet.

 Suchtgefahr Geldautomat: Jugendliche dürfen an den Geräten nicht spielen. Eine Trierer Behörde setzt junge Testkäufer ein, um zu prüfen, ob Vorschriften eingehalten werden.

Suchtgefahr Geldautomat: Jugendliche dürfen an den Geräten nicht spielen. Eine Trierer Behörde setzt junge Testkäufer ein, um zu prüfen, ob Vorschriften eingehalten werden.

Foto: Friedemann Vetter

Von Florian Schlecht

Den 5. Januar 2018 dürfte Anna-Maria Jakobs in ihrem Leben nicht mehr vergessen. Als ein junger Erwachsener die Wirtin nach Wechselgeld für den Spielautomaten fragte, wollte sie den Ausweis des Mannes sehen. Der hatte die Papiere nicht dabei, wollte aber trotzdem zocken. „Das geht nicht“, wies Jakobs den Mann in ihrem Gasthaus in Longuich ab – und handelte damit richtig. Denn der Gast durfte nicht am Automaten spielen, er war minderjährig.

Das erfuhr Jakobs erst Monate später, als die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier sie anschrieb und ihr schilderte, der Jugendliche sei ein Testkäufer gewesen. „Die gesetzlichen Anforderungen wurden daher erfüllt“, lobt die Behörde in dem Schreiben, das dem TV vorliegt. Doch dann erlebte Jakobs eine böse Überraschung. Eine Seite später stand der Satz, dass Überpüfungen „unabhängig vom Ergebnis“ kostenpflichtig seien. „Das gibt’s nicht“, dachte Jakobs.

Gibt’s doch, wie die ADD auf TV-Nachfrage bestätigt. Die Trierer Behörde verweist auf das bestehende Gebührenverzeichnis.

Das sieht bei der Überprüfung zur Einhaltung des Jugend- und Spielerschutzes durch Testkäufe Kosten von 100 bis 600 Euro vor. 100 Euro musste Jakobs zahlen. Sie schimpft: „Hätte ich den Jugendlichen spielen lassen, dürfte ich mich über ein Bußgeld nicht beschweren. Aber das ist Abzocke.“ Ähnlich sieht es Gereon Haumann, Landeschef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes. Fälle wie in Longuich erlebt er häufig, sagt er und wettert: „Das ist inakzeptabel. Wenn ein Polizist einen Autofahrer anhält, Licht, Blinker und Kofferraum kontrolliert, sagt er doch auch nicht: Alles bestens, 100 Euro bitte!“ Haumann verweist darauf, in engen Gesprächen mit dem Innenministerium zu sein. Er fordert vom Land, Gebühren zu übernehmen, wenn Betriebe keinen Fehler machten.

Ähnlich sieht es Arnold Schmitt, CDU-Landtagsabgeordneter aus Riol. „Eine solch irrsinnige Bürokratie führt irgendwann dazu, dass es gar keine Dorfkneipen mehr gibt, in denen sich Menschen treffen und unterhalten können“, kritisiert Schmitt. „Das treibt das Kneipensterben nur noch weiter voran.“ Geht es um jugendliche Testkäufer, lehnt Haumann diese ohnehin ab. „Das Land sollte lieber gegen Spielsucht im Netz vorgehen. Doch lieber lässt man minderjährige Undercover-Agenten agieren, die Betriebe unter Generalverdacht stellen.“

Die ADD verweist wiederum darauf, die Kontrollen ernst zu nehmen. Nadja Wierzejewski, Referentin für Glücksspiel in der Behörde, stellt gerade in Gaststätten eine hohe Zahl an Verstößen gegen den Jugendschutz fest. Von Oktober 2017 bis März 2018 seien 30,46 Prozent der kontrollierten Betriebe durchgefallen. Jahre zuvor seien es noch 26 Prozent gewesen. In Spielhallen hätten Testkäufe wiederum dazu geführt, die Verstöße von 6,72 Prozent in 2014 auf zuletzt 0,92 Prozent zu verringern. Die Hallen seien stärker organisiert, würden sich untereinander erreichen. Im kleinteiligen Gastgewerbe in Rheinland-Pfalz sei das schwer, sagt auch Haumann. Der Dehoga-Chef weist darauf hin, dass viele Mitglieder sich freiwillig fortbildeten, aus eigener Tasche.

Kritik an den jugendlichen Testkäufern äußert aber nicht nur Haumann, sondern auch der deutsche Kinderschutzbund. Martina Huxoll-von-Ahn moniert, Minderjährige würden zu Straftraten animiert.

Die ADD verweist darauf, die Jugendlichen besonders zu schützen. Sie setze externe Firmen für Testkäufe ein. „Dabei wählen wir nicht das günstigste Angebot, sondern das hochwertigste.“ Heißt: Auftragnehmer müssen Minderjährige ausbilden, sie auf Risiken hinweisen, erfahrene Teamleiter begleiteten sie zu Einsätzen. „Wenn Jugendliche mit dem Test nicht zurechtkommen, muss der Leiter abbrechen“, sagt Wierzejewski.

Gerade in Glücksspielautomaten sieht sie eine Gefahr für Jugendliche. „Sie regen dazu an, an einen schnellen Geldgewinn zu glauben, den Alltag zu vergessen und lange zu spielen. Das Suchtpotenzial ist groß.“

Einnahmen, teilt die ADD mit, würden dem Landeshaushalt zugeführt. Durch Testkäufe bei Gaststätten, das zeigt die Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage von Arnold Schmitt, wurden in den vergangenen drei Jahren gut 132 000 Euro eingenommen. Wirte hätten immer die Möglichkeit, den Testkäufer zu stoppen, sagt die ADD. Der Minderjährige sei verpflichtet, den Wirt anzusprechen und nach Wechselgeld für den Automaten zu fragen. Anna-Maria Jakobs fragt sich, warum sie das gemacht hat – und trotzdem zahlen musste. „Das ist nicht zu fassen.“

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