Kriminalität Kurioses Intermezzo im Trierer Amokverfahren: Muss ein kompletter Prozesstag wiederholt werden?

Trier · Kurioses Intermezzo am Trierer Landgericht: Möglicherweise muss im Amokprozess ein kompletter Verhandlungstag wiederholt werden. Der Grund: Der Angeklagte soll an einem Verhandlungstag nicht alles verstanden haben.

Amokfahrt Trier: Muss ein kompletter Prozesstag wiederholt werden?
Foto: TV/Rolf Seydewitz

Muss im Trierer Amokprozess ein kompletter Verhandlungstag wiederholt werden und ein halbes Dutzend Zeugen erneut geladen werden? Nach der Rüge eines der Verteidiger des Angeklagten ist das zumindest nicht ausgeschlossen. Rechtsanwalt Frank K. Peter kritisierte am Mittwochmorgen, dass sein Mandant den Zeugenaussagen am Vortag teilweise nicht habe folgen können, „weil er sie schlichtweg nicht richtig gehört hat“. Der Grund: Eine ursprünglich vor dem 52-jährigen Angeklagten platzierte Mikrofon-Lautsprecher-Kombination war an einer Metallverstrebung der schusssicheren Fenster vor dem Tisch des Tatverdächtigen montiert worden. An den vorherigen Verhandlungstagen stand das Gerät auf dem Tisch. 

Ein Justizbeamter begründete den Standortwechsel des Lautsprechers mit Sicherheitsbedenken. Das Gerät könne als Wurfgeschoss missbraucht werden.

Die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz wunderte sich gleich doppelt: zum einen, weil die Lautsprecher-Kombination doch bisher an allen Prozesstagen vor dem Angeklagten auf dem Tisch gestanden habe – und auf einmal ein potenzielles Wurfgeschoss sein soll. Und zum anderen, weil der Angeklagte oder einer seiner beiden Verteidiger die angeblich schlechte Akustik am Vortag nicht bemängelt hätten. „Das mutet etwas seltsam an“, meinte die Chef-Richterin wörtlich. Schmitz kündigte aber an, dass „der gestrige Tag unter Umständen wiederholt werden muss“. Sie werde darüber nachdenken.

Das würde bedeuten, dass Zeugen wie der Trierer Notar, der ja angeblich das Geld des Angeklagten in einem Tresor aufbewahrt – ein Märchen, wie sich am Dienstag herausstellte – oder die Ärztin, die als erste Augenzeugin der Amokfahrt vernommen wurde, erneut geladen werden müssten.

Oberstaatsanwalt Eric Samel hält das für überflüssig. „Warum haben Sie denn gestern nichts gesagt?“, fragte der Anklagevertreter in Richtung Anklagebank. Zudem habe der Angeklagte am Vortag mehrfach genickt. „Also hat er es verstanden“, so Samels Schlussfolgerung. Ähnlich sieht das auch der Trierer Rechtsanwalt Andreas Ammer, der eines der Opfer vertritt. „Sie hätten das gestern ansprechen können, haben aber nichts über Verständnisprobleme gesagt“, raunzte er in Richtung Verteidiger. Ammers Kollege Otmar Schaffarczyk wies darauf hin, dass man „aus revisionsrechtlichen Gründen vor dem Problem“ stehe, den Verhandlungstag womöglich wiederholen zu müssen.

Genau vor diesem Problem steht nun die fünfköpfige Kammer unter der Vorsitzenden Richterin Petra Schmitz. Gibt sie der Rüge der Verteidigung nicht statt, haben die beiden Anwälte des Tatverdächtigen ein womöglich dickes Pfund in der Hand, um ein späteres Urteil anfechten zu können. Gegebenenfalls müsste dann der komplette Prozess noch einmal neu aufgerollt werden.

Folgt sie der Verteidigung und wiederholt den einen Prozesstag, wäre das zwar ärgerlich, aber irgendwie verschmerzbar. Wann die Entscheidung fällt, ist noch offen. Vielleicht wird sie schon an diesem Freitag, dem nächsten Verhandlungstag, bekanntgegeben.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 52-jährigen Angeklagten fünffachen Mord und schwere Körperverletzung in zahlreichen Fällen vor. Der Angeklagte schweigt im Prozess bislang zu den Vorwürfen.

Am Mittwoch sagten weitere Augenzeugen des Gewaltverbrechens vom 1. Dezember vergangenen Jahres aus. Beide Zeugen haben auch heute noch die schrecklichen Bilder von den Geschehnissen an jenem frühen Nachmittag im Kopf, als der Geländewagen durch die Fußgängerzone raste. Eine 34-jährige Frau, die an ihrem Bürofenster stand und telefonierte, sah, wie das Fahrzeug auf dem Hauptmarkt zwei Menschen überfuhr. „Der eine flog durch die Luft, der andere zur Seite“, berichtete die Frau im großen Sitzungssaal des Landgerichts mit stockender Stimme. Danach sei der Wagen weiter durch die Simeonstraße gerast, habe dort noch die Auslagen eines Geschäfts für Haushaltswaren umgefahren.

Der andere Zeuge, ein Monteur,  war mit einem Kollegen im Wagen in der Simeonstraße unterwegs, als sie an der Ecke Margaretengässchen plötzlich laute Schreie und Geräusche hörten. „Ich hatte kaum die Tür aufgemacht, um nachzuschauen, da schoss auch schon ein Fahrzeug mit etwa 70 bis 90 Stundenkilometern ganz dicht an uns vorbei“, erinnerte sich der 57-jährige Monteur. Der Fahrer sei dann Höhe Porta-Nigra-Vorplatz noch ins Schlingern gekommen und dann bei Rot über die Ampel gefahren und Richtung Christophstraße abgebogen.

Dort wurde der mutmaßliche Amokfahrer kurz darauf von mehreren Polizisten festgenommen.

Der Monteur sagte, er sei damals aus seinem Wagen ausgestiegen und habe erst dann das ganze Chaos erahnen können. „In der Nähe lag eine Frau am Boden, und es sah aus wie im Krieg“, beschrieb er die Szenerie am Ende der Fußgängerzone.

Der Mordprozess gegen den 52-jährigen Tatverdächtigen wird am Freitag fortgesetzt. Im Dezember sind sechs Verhandlungstage angesetzt.

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