Anlachen gegen den Schreikrampf

Bitburg · Selten wird in einem Gerichtssaal so viel gelacht wie bei diesem Prozess. Vom Vorwurf der räuberischen Erpressung bleibt am zweiten Verhandlungstag wenig übrig. Der Grund: Der Hauptbelastungszeuge ist völlig unglaubwürdig.

Bitburg. Der 18-Jährige trommelt mit dem rechten Fuß auf dem Boden herum. Tipp, Tapp, Tipp, Tapp. Er lehnt sich im Stuhl nach vorne, dieser kleine Mann, der unablässig mit seinem Zungenpiercing herumspielt. Dass sie an diesem Mittag im Amtsgericht Bitburg sitzen, haben sie alle ihm zu verdanken - der Angeklagte, sein Pflichtverteidiger, der Staatsanwalt und Richter Udo May. Denn der junge Mann mit der Baseballmütze ist der wichtigste Zeuge. Er ist es, der den 27-Jährigen belastet, jenen Bitburger, der sich wegen räuberischer Erpressung verantworten muss. Und ausgerechnet er hat am ersten Verhandlungstag gefehlt. "Warum?", will Richter May wissen. "Ich habe den Brief nicht gelesen", sagt er und lacht. Während er spricht, wandern seine Augen durch den ganzen Saal - überall hin, nur nicht zum Angeklagten. Stets sagt er "der da", obwohl er seinen Namen kennt. Und "der da" soll ihn "abgezockt", ihm einen Beutel Drogen gestohlen haben. Das jedenfalls hat er der Polizei erzählt - bei zwei Vernehmungen in zwei völlig unterschiedlichen Versionen.
Der Tathergang: Mal soll der Angeklagte ihn mit einem Taschenmesser bedroht haben, mal erwähnt er nichts von einer Waffe. Vor Gericht gibt er dann eine dritte Version zum Besten: Der Beschuldigte habe "mit einem Metallstab in der Hand herumgefuchtelt", während er ihm den Stoff abluchste. Aber da hört es noch nicht auf mit den Widersprüchen: Den Polizisten erzählt der 18-Jährige, er sei beim alten Edeka, in der Nähe des Bedaplatzes, ausgeraubt worden. Im Zeugenstand behauptet er dann plötzlich, die Tat habe sich in der Wohnung des Angeklagten abgespielt. Dort habe das Drogen-Päckchen offen auf dem Tisch gelegen - so trägt er es im Zeugenstand vor. Zuvor hatte er zu Protokoll gegeben, der 27-Jährige habe ihm den Stoff aus der Tasche gezogen. Aber was war das überhaupt für ein Stoff?
Der Stoff: Die vermeintlichen Drogen will er kurz vorher von zwei Dealern erstanden haben. Wieviel er dafür bezahlt hat? Mal spricht er von 350, dann wieder von 400 Euro. Ungereimtheiten über Ungereimtheiten. So kann vor Gericht auch nicht ermittelt werden, was der Inhalt des Beutels war, den der 18-Jährige von den beiden Dealern erstanden hat. Kaufen wollte er wohl Amphetamin. Was er bekommen hat? Womöglich Waschmittel. Kurios: Der Zeuge spricht davon, dass das Pulver in der Plastiktüte eingefroren war, oder "in Eis", wie er es ausdrückt. Er will aber "reingerochen" und dabei festgestellt haben, dass es sich nicht um "Pepp" handelte. "Gefrorenes riecht nicht", gibt der Verteidiger des Angeklagten zu bedenken. Doch der Zeuge bleibt bei seiner Aussage.
Das Urteil: Auf jede Frage, die ihm gestellt wird, findet er eine absurde Antwort. Und wohin man auch schaut: Kopfschütteln, Augenreiben. Sogar gelacht wird heute im Amtsgericht. "Wir tun das aus Verzweiflung", stellt Richter May klar: "Damit wir keinen Schreikrampf bekommen." Der bleibt dann auch aus. Mit der Geduld am Ende sind die Beteiligten dann aber doch, als das Urteil fällt: Der Angeklagte wird vom Vorwurf der räuberischen Erpressung freigesprochen. Wegen zweier kleinerer Delikte muss er trotzdem drei Monate ins Gefängnis.

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