Apfelblütenduft

NIEDERPRÜM. Viele ältere Einwohner des Ortes werden sich noch an "Roths Mattes" erinnern. Vor allem die Kinder des Dorfes konnte er mit seinen Geschichten begeistern.

Wir hatten ihn gern, den alten Mann. Meist wirkte er auf uns wie der Frühling - manchmal aber auch wie der Herbst. Mattes trug einen dichten Vollbart, ein bisschen rostrot schimmernd. Sein Gesicht war von zwei Augen bewacht, die listig und lustig aus hundert Fältchen blinzelten. Ein Hauch von Kernseife umschwebte Mattes. An Festtagen allerdings duftete er nach Mottenkugeln. Wir - Jupp, Johann, Gretchen und ich - waren oft beim Mattes. Wenn er uns seine Geschichten erzählte, kam er uns vor wie ein altes Buch. Er hatte unser Vertrauen. Damals ahnten wir nicht, dass in drei Jahren der Zweite Weltkrieg ausbrechen würde. Mattes war einst König der Landstraße, Ritter der Romantik. Wie wusste er die Maienpracht in den Eifeldörfern zu schildern! Da roch es förmlich nach Apfelblüten und Ginster. Mattes kannte auch die gepflasterten Dorfstraßen in Belgien und Luxemburg. Die Heurechen, die er fertigte, waren sogar im benachbarten Ausland berühmt. Mattes hatte eine Frau, die leider blind war. Luise hatte unentwegt in der Küche zu tun, die man von dem buckligen Hof aus betreten musste. Sie wurde böse, wenn wir - aus purer Neugier, wie sie mit ihren Hühnern da drinnen wohl zurechtkommen würde - in ihr Revier kamen. So saßen wir denn meist draußen auf der Bank - unter dem großen Holunderstrauch. Mattes spielte auf seinem Bandonion und sang dazu. Immer begann er mit: "Mein Liebchen, weine nicht...!" Beim Holunderstrauchlied durften wir alle mitsingen. Und endlich kam das Lied, worauf wir 16-jährigen Mädchen warteten, und dessen Text wir wichtig nahmen. "Madel, ruck´, ruck´, ruck` an meine grüne Seite..." Für uns war Mattes der Minnesänger unseres Dorfes. Luise muss für den großen Burschen einst der helle Sonnenschein gewesen sein. Wie oft mag er sie mit einem Schlüsselblumensträußchen überrascht haben? Und sie, die Luis, sah in ihrem Mann den Starken, den Beschützer. Mattes und Luis lebten in einer glücklichen Welt. Änne Kleusch, Prüm-Niederprüm.

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