Bühne aus Licht und Fäden

Weißenseifen. (sico) Wie eine in die Landschaft eingefügte Bühne aus wollenen Verstrickungen wirkt das aktuelle Kunstwerk der Tschechin Doina Tatoli auf dem Gelände der Künstlerkolonie in Weißenseifen.

Die Installation ist Teil einer Reihe von Arbeiten, die die Therapeutin des Hauses Michael in Weißenseifen in der letzten Zeit geschaffen hat. Erste Einblicke in ihre Schaffensweise lieferte die Künstlerin bereits im Zuge der Kunstkarawane nach Prüm, bei der sie ein "versponnenes" Werk bei einem Brückentorso in der Nähe von Rommersheim hinterließ. In der dazugehörigen Prümer Ausstellung "Wanderwerke" im ehemaligen Konvikt wirkte Doina Tatoli mit zwei weiteren Werken mit. In den vergangenen zwei Wochen widmete sich die Absolventin der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft intensiv ihrer Kreation auf dem Weißenseifener Symposionsgelände. Die Arbeit ist der Symposion-Mitveranstalterin Christiane Hamann gewidmet und trägt den Titel "Ein Morgenfenster für Christiane", da sich die Installation unmittelbar vor Hamanns Haus befindet. Doina Tatoli hat diese Stelle ausgewählt, da die gesamte Arbeit dort je nach Tageszeit in einem anderen Spiel aus Licht und Farbe changiert. Das Thema "Fenster" im Allgemeinen beschäftigt die "Spinnmeisterin" schon seit mehreren Jahren. "Das Fenster ist eine Grenze zwischen Innen- und Außenraum, sowie zwischen dem Ich gegenüber der Welt. Es ist eine Chance zum Verständnis und eine Möglichkeit der Wahrnehmung. Ich baue Fenster von Dingen, die fast vergessen sind, da sie uns täglich umgeben, ohne dass wir richtig hinschauen", erläutert Doina Tatoli die metaphorische Bedeutung ihres Werkes. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf begann sie ihre Arbeit. An ausgewählten Fixpunkten - zwei Birken - erstellte sie das Hauptgerüst aus Wollfäden; dazwischen ließ sie während des Verknotens weiterer Fäden ihre Phantasie spielen. Jeder der Fäden hat dabei seine eigene Persönlichkeit; sind sie doch einzeln aus bis zu drei Polyacryl-Strängen in Luftmaschen-Technik gestrickt worden. Rote Stricke als Ergänzung zum Grün der Natur

Durch diese Methode erhalten die Fäden mehr Elastizität und lassen sich besser spannen. Die so erhaltenen Spannungen bilden deutlich erkennbare Bögen, die Richtungen zeigen. Auf diese Weise erstellte Doina Tatoli die dynamische Komposition aus Dingen, die bereits gegeben waren. Die dreidimensionalen Bögen und Verknüpfungen lenken den Blick dabei auf kleinere Büsche und Sträucher der Landschaft, die dem Betrachter vorher nicht besonders ins Auge gefallen wären. In Bezug auf die Farblichkeit wählte die "Meisterin der Fäden" rote Stricke als Komplementärfarbe zum Grün der Natur aus, um Absorbationen zu vermeiden und die Landschaft auch farblich noch mehr zu betonen. Dabei stützte sich Doina Tatoli auf die Farbenlehre Goethes: "Ich übernehme Goethes Ideen, denn er zeigte, dass die Farben nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Luft existieren. Ich versuche, die Farbe Luft zu nutzen, und die Landschaft hilft mir dabei." Um ein faszinierendes Farberlebnis zu erzielen, verzichtete die Künstlerin deshalb auf Vielfarbigkeit und beschränkte sich auf rote und hellblaue Fäden. Doch der Schaffensprozess ist für die tschechische Therapeutin noch lange nicht abgeschlossen: "Das Werk bleibt ja hier, also kommt eventuell noch eine Schicht Violett wie eine Art Lasur dazu." Neben der gespannten Großinstallation lockten weitere kleinere Ausstellungen zum Ende des Symposions die Besucher am vergangenen Samstag nach Weißenseifen. Nach vier Wochen gemeinsamen Schaffens zieht Mitorganisatorin Christiane Hamann ein positives Resümee: "Wir waren vor allem in den ersten beiden Wochen mit je rund fünfzig Teilnehmern sehr gut besucht. Durch intensive Gespräche und ein abwechslungsreiches Programm wurde das Symposion noch lebendiger. Eine unheimliche Bereicherung mit Kreativität und viel Spontanität war die offene Bühne, die von den Teilnehmern selbst gestaltet wurde." Im nächsten Jahr sollen unter anderem verschiedene Beispiele zum Thema "Reformer, Rebellen, Revolutionäre" auf dem Programm des Symposions stehen.

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