Das ganze Leben auf kleinstem Raum: Prümer Michael Brammertz dokumentiert Tausende Totenzettel im Internet

Prüm · Die Westdeutsche Gesellschaft für Familienkunde erstellt derzeit eine Datenbank, in der schon fast 80 000 Totenzettel und "Sterbebildchen" erfasst sind. Projektleiter ist der Prümer Familienforscher Michael Brammertz.

"Ein Ende ist nicht abzusehen", sagt Michael Brammertz. Der Prümer Schuhhändler und Familienforscher spricht von einem Riesenvorhaben: Derzeit erstellt der Verein, dem Brammertz angehört, die Westdeutsche Gesellschaft für Familienkunde, eine immense Datenbank. Darin enthalten sind alle sogenannten Totenzettel, derer die Mitglieder habhaft werden können.
Und das sind einige. Bisher haben Brammertz und seine Mitstreiter bereits fast 80 000 dieser Zettel erfasst und ins Internet gestellt. Viele stammen aus Privatkollektionen: "Ein Sammler hat mir 8500 Stück gegeben. Die arbeite ich gerade auf."
Oft kommt Hilfe von Heimat- oder Geschichtsvereinen: Brammertz erzählt von der hervorragenden Zusammenarbeit mit dem Verein "Zwischen Venn und Schneifel" aus dem benachbarten Ostbelgien: "Die haben 25 000 Zettel eigenhändig gescannt, fotografiert und abgeschrieben". Inzwischen stehen sie ebenfalls in der Datenbank.
Dort findet sich manches Dokument, das von heute aus betrachtet befremdlich wirken mag: Wie der Totenzettel von "Frau Johann Jucken", die am 9. Februar 1917 in Waxweiler, "nachmittags 5 Uhr wohlversehen mit den hl. Sterbesakramenten der kath. Kirche nach langem, schweren, mit großer Geduld ertragenem Leiden, sanft dem Herrn entschlafen ist".
"Diese Frau", sagt Brammertz, "hatte keinen Namen." Zumindest keinen Vornamen - wie es damals üblich war und zum Glück heute nicht mehr ist. Andererseits erfuhr man dafür mehr aus dem Leben der Verstorbenen. Das sei heute nicht mehr so, sagt Brammertz - meist finde sich nur noch der Name mitsamt Geburts- und Sterbedatum.
Während Frau Jucken mit ihrem Johann "in der glücklichsten Ehe" lebte, zeugen andere Dokumente von grauenvollen Ereignissen: Wie jener Zettel, auf dem man vom Schicksal eines Josef Stengele und seiner Familie liest. Verheiratet war er mit Anna Maria, und "Gott segnete den heiligen Bund mit acht Kindern" - alle, darunter die viereinhalbjährigen Zwillinge Maria und Peter, starben bei einem Bombenangriff auf Aachen im Kriegsjahr 1944. "Sie waren das Glück und der Sonnenschein ihrer Eltern", heißt es. "Frühvollendet gingen sie vereint mit Vater und Mutter in die himmlische Heimat ein."
Nur zwei Beispiele aus der Sammlung, die stetig wächst. Zusammengetragen und digitalisiert werden die Dokumente von zahlreichen Aktiven des Vereins, "meist aus der Eifel oder auch fortgezogene Eifeler", sagt Brammertz, der aus Aachen stammt. "Sie alle sind Familienforscher und erstellen diese Datenbank ehrenamtlich." Schwerpunkt sei bisher die Eifel - "von Monschau bis St. Vith und von Gerolstein bis Bitburg".
Manche Dokumente sind mehr als 200 Jahre alt, die meisten stammen aus der Zeit der beiden Weltkriege. Täglich kommen 100 bis 150 neue Zettel hinzu", sagt Michael Brammertz. "Auf und unter dem Schreibtisch liegen in Prüm noch mehrere Tausend, die auf die Bearbeitung warten."
Die Datenbank findet man im Internet unter www.wgff.de/aachen/tz . Dort kann man über eine Stichwortsuche die Orte finden, für die man sich interessiert. Wer Fragen hat, kann sich auch direkt an Michael Brammertz wenden. Rufnummer: 06551/1482568.Extra

Die ersten Totenzettel hat es im 17. Jahrhundert gegeben, später verbreitete sich der Brauch im katholischen Europa. Sie beschrieben den Lebenslauf des Toten, außerdem waren Gebete und Heiligenbildchen abgedruckt. Verteilt wurden sie bei Begräbnissen, danach legte man sie sich meist ins Gebetbuch. Die Zettel aus den Weltkriegen waren mit einem Foto des getöteten Soldaten versehen - manchmal die einzige Abbildung, die man vom Angehörigen hatte. fplExtra

Familienforschung: Für viele Menschen ist das kein Thema, andere aber widmen sich jahrzehntelang hingebungsvoll der Suche nach Vorfahren und anderen Verwandten und spüren in allen Ecken der Welt welche auf. Wie kam Michael Brammertz dazu? Durch ein Erlebnis als Jugendlicher: "Ich habe als 15-Jähriger im Nachlass meiner Tante einen mit Tusche auf Wachstuch geschriebenen Stammbaum gefunden, der bis ins 17. Jahrhundert ging", erzählt er im Gespräch mit dem TV. "Das Ding hat mich wie eine Schatzkarte interessiert." Und damit habe alles bei ihm angefangen - und mit seinem Familiennamen, der in der Region eher selten sei. Brammertz ging der Sache nach - und fand im Lauf seiner Forscherjahre eine weltweit verzweigte Verwandtschaft und etliche Namenscousinen und -vettern, "bis hin zu einem Geschäftsmann aus Lima in Peru. Der hat mich dann eines Tages besucht und wir haben uns den ganzen Abend lang über unsere Familiengeschichte erzählt." fpl

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