"Der alte Traum ist abhandengekommen"- Ex-Europa-Politiker Jacques Santer in Prüm zu Gast

Prüm · Jacques Santer in Prüm: Bessere Wirtschaftspolitik, mehr Sicherheit und Bürgernähe sollen den Untergang der EU verhindern.

 Europa solle klare Kante zeigen, sagt der ehemalige luxemburgische Premierminister und Ex-Präsident der EU-Kommission Jacques Santer. Rund 200 Zuhörer kamen zum vom Geschichtsverein Prümer Land organisierten Vortrag ins Konvikt. TV-Foto: Vladi Nowakowski

Europa solle klare Kante zeigen, sagt der ehemalige luxemburgische Premierminister und Ex-Präsident der EU-Kommission Jacques Santer. Rund 200 Zuhörer kamen zum vom Geschichtsverein Prümer Land organisierten Vortrag ins Konvikt. TV-Foto: Vladi Nowakowski

Foto: Vladi Nowakowski (now) ("TV-Upload Nowakowski"

usforderungen. Der sogenannte Brexit und nationalistische Tendenzen in den Mitgliedsstaaten, in denen der Ruf nach einem Austritt aus der Gemeinschaft immer lauter wird, führen zu einer Sinnkrise. Es ist ein komplexes Thema, zu dem Jacques Santer, der ehemalige luxemburgische Premierminister und Ex-Präsident der Europäischen Kommission, auf Einladung des Geschichtsvereins Prümer Land spricht.

Und eines, das auf breites Interesse stößt: Rund 200 Zuhörer wollen den Vortrag des großen, alten Mannes der Europa-Politik hören. Santer holt weit aus, spricht über die Motivation der Gründerväter in den 1950er Jahren, die mit einer gezielten wirtschaftlichen Verflechtung der damaligen sechs Mitgliedsstaaten militärische Konflikte auf europäischem Boden verhindern und den Wohlstand der Bürger mehren wollten.

"Diese Motive sind auch heute noch die Legitimation der Europäischen Gemeinschaft und keinesfalls obsolet", sagt Santer. "Frieden, Wohlstand, Freiheit und Sicherheit für alle Bürger Europas sind die Grundfeste der EU."
Nur leider sei die Botschaft inzwischen untergegangen: "Der alte Traum ist abhandengekommen", bedauert der luxemburgische Politiker, "und das obwohl innerhalb der Union die längste Friedensphase seit jeher herrscht."
In den Augen vieler Menschen sei die EU zu einer lästigen Regulierungsbehörde verkommen: "Der Euro mutierte zum Teuro, die Osterweiterung wurde mit einem Anstieg der Kriminalitätsrate und dem Verlust von Arbeitsplätzen gleichgesetzt."

Ein großes Problem - vor allem in den wohlhabenden Mitgliedsstaaten - sei, dass der Frieden als Leitbild für junge Menschen alleine nicht mehr ausreiche. "Es gibt ein mentales Problem in Europa, wenn das Dasein als Hartz-IV- Empfänger zum Traumberuf stilisiert wird, und es heißt: Wenn Arbeit adelt, dann bleibe ich lieber bürgerlich", sagt Santer.

Für den konservativen Politiker aus den Reihen der luxemburgischen Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) ist der Ausweg aus der Krise klar: "Europa muss wirtschaftlich stärker werden." Mit Sorge sieht Santer, dass Staaten außerhalb der EU an Wirtschaftskraft wachsen und Europa dabei nur ein Zuschauer sei: "Wir diskutieren über die 35-Stunden-Woche, während China dabei ist, den 35-Stunden-Tag einzuführen." Ja, und auch sozialer müsse die EU werden: "Aber die beste Sozialpolitik ist eine kluge Wirtschaftspolitik", sagt Jacques Santer.

Zudem solle der alte Kontinent nach außen hin mehr Härte zeigen: "Wenn der gemeinsame politische Wille dazu vorhanden ist, sollte Europa über gemeinsame militärische Mittel, einen gemeinsamen Außenminister und eine wirksamere Sicherung der Außengrenzen nachdenken - Europol muss ausgebaut werden."
Sicherheit habe größte Priorität, damit europäische Werte nicht in Gefahr gerieten, sagt Santer zum Schluss seines Vortrages, für den er viel Applaus erhält. "Die EU war bisher attraktiv, weil sie effizient war. Und so soll es auch bleiben."

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