Der grüne Würger des Apfelbaums

BITBURG/PRÜM. Achtung, dicke Kugeln! Inmitten der Winterlandschaft hebt sich die "immergrüne" Mistel von den kahlen Bäumen ab. Die Heilpflanze breitet sich in der Region aus – für den sie tragenden Baum ist sie jedoch alles andere als ein ungefährlicher "Gast". Gefährdet sind vor allem Streuobstwiesen.

Man muss schon genau hingucken, um sie zu erkennen: Auf einer Wiese bei Meurich im Saargau schaut sich Franz-Josef Scheuer den Ast eines Apfelbaums an, dann weist er auf den noch schwachen Spross einer jungen Mistelpflanze hin. "Zwei bis drei Zentimeter wächst sie im ersten Jahr", sagt der Experte von der Gartenbauberatung des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum (DLR) Trier. Sie wächst kontinuierlich bis hin zu einem kugelartigen Busch von bis zu einem Meter Durchmesser. "In den ersten fünf bis sieben Jahren übersieht man die Pflanze, sie wächst sehr langsam", sagt Scheuer. Glücksbringer und Baum-Killer

Etliche Heilwirkungen werden der immergrünen, parasitär lebenden Mistel zugeschrieben. Die Briten befördern damit gar die Liebe: Mann und Frau unter einem Mistelzweig dürfen sich küssen. Wer den Glücksbringer sucht, sieht ihn insbesondere in dieser Jahreszeit - etwa auf den Streuobstwiesen entlang der "Viezstraße" im Saargau. Bei Baumexperten wie Scheuer löst dies jedoch Sorgenfalten aus. Die Mistel, die über Vögel auf Apfelbäume, Pappeln und Ahornbäume übertragen wird, ist ein sogenannter "Halbparasit", dem Baum entzieht sie Wasser und Nährstoffe. Bei einem zu starken "Besatz" seien die betroffenen Partien für die Obstproduktion verloren, warnt Scheuer in einem DLR-Aufsatz: "Oftmals verabschiedet sich der Baum ein bis zwei Jahre später komplett aus der Produktion" - und stirbt. Die Lösung besteht nur im Abschneiden der betroffenen Teile - mitsamt der Mistel. Unter besonderem Schutz stehe die Pflanze nicht, sagt Scheuer. Für den Naturschutz ist die Mistelbekämpfung jedoch nicht ohne Bedeutung: "Es existiert ein gewisser Nutzungskonflikt", erklärt Ernst-Christian Walter, Sprecher der Saarburger Gruppe des Naturschutzbundes Nabu. Die Streuobstwiese sei ein ökologisch wichtiger Bestandteil der Natur, von daher müsse der Baum beschnitten werden. "Denn wenn es ein starker Befall ist, kann es schädlich werden." Andererseits gehöre auch die Mistel zum schützenswerten Bestand. Früher, "bis in die frühen 50er-Jahre", seien die Dorfbewohner verpflichtet gewesen, die Bäume von Misteln regelmäßig zu säubern, sagt Scheuer. Jährliche Schnittmaßnahmen halten die Mistel auch heute noch von Obstplantagen fern. Anders sieht es bei den mittlerweile vernachlässigten Streuobstwiesen aus, wie sie entlang der Viezstraße zu finden sind. "Insbesondere im Saargau und in der Schneifel ist gegenwärtig eine Zunahme von Misteln in Streuobstbeständen festzustellen", erklärte bereits im vergangenen Jahr das rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerium in seiner Antwort auf eine Landtagsanfrage des Ersten Kreisbeigeordneten und Landtagsabgeordneten Dieter Schmitt. Drastischer formulieren es die Obstbauern, von einer "Katastrophe" spricht einer. "Es gibt Wiesen, die sind extrem befallen, weil sie nicht gepflegt werden", sagt Roland Lutz aus Fisch, der den Obstanbau "hobbymäßig" betreibt. Walter weist darauf hin, dass vor allem die Altbäume betroffen sind. "Für die hat sich früher kaum einer interessiert. Erst jetzt gibt es ein Interesse an regionalen Produkten." Eine rechtliche Verpflichtung zur Mistelbekämpfung gibt es nicht, wie das Ministerium betont. Scheuer empfiehlt Baumbesitzern jedoch "dringend", befallene Partien herauszuschneiden - um den Streuobstanbau als "ökologischen Baustein oder auch als Obstlieferant" zu erhalten. Andernfalls könne die Mistel in "Würger des Apfelbaums" umbenannt werden.

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