Der Künstler von der Lavabombe

Strohn · Er heißt ungewöhnlich, sieht ungewöhnlich aus und tut ungewöhnliche Dinge - zuletzt für Peter Maffay. Der TV hat den Künstler Yvelle von Alzheim in seiner neuen Heimat in der Vulkaneifel besucht und mit ihm über ein Leben gesprochen, das vor einigen Jahren eine abrupte Wendung genommen hat.

Seiner E-Mail sind Bilder angehängt. Sie zeigen alle den gleichen Mann, Typ Pirat. Lange dunkle Locken, Ohrringe, Drei-Tage-Bart, Tatoos. Mal malt er, mal räkelt er sich auf dem Waldboden, mal steht er halbnackt unterm Nohner Wasserfall. Oho!

Er sei inniger Künstler, Menschler und Lebensbildmaler - was immer das sein mag - und habe sich bei seiner tiefen Arbeit für Peter Maffay in die Vulkaneifel verliebt, wo er sich nach neun Jahren des Weltbereisens nun mit seinem Herzen und seinen vier Damen fest niedergelassen habe. Unterzeichnet "Yvelle von Alzheim". Oha!

Was wohl treibt Herr von Alzheim mit Harem im Herzen der Vulkaneifel? Und was hat Peter Maffay damit zu tun? Die Neugier ist geweckt.

Der Weg zu ihm führt direkt zur Strohner Lavabombe. Gleich hinter dem beeindruckenden Vulkangeschoss geht es rechts über ein privates Brückchen zur Strohner Mühle. Und schon vor dem verschlossenen Tor beginnt das Klischee vom durchgeknallten Künstler zu bröckeln: Es öffnet sich elektronisch und gibt den Weg zu einer langen Einfahrt frei, an deren Ende ein viel zu gepflegtes Gebäude über dem rauschenden Bach Alf thront. Nicht mal im Hof steht Unfug herum.

Plötzlich geht die Türe auf. Eine weiße Hündin kommt herausgeschossen - vielleicht eine der vier Damen -, gefolgt von ihm. Ganz in Schwarz. Er lacht zur Begrüßung und wirkt trotz seiner perfekt gelockten Haare, seiner frisierten Augenbrauen und dem auffallenden Silberschmuck weit natürlicher als erwartet. Exzentrisch: ja. Verrückt: vielleicht. Sympathisch: unbedingt.

Ob er wirklich einen Harem hat? Die Frage beantwortet sich kurz darauf von selbst. Rechts hinter der Türe liegt eine ganz normale, große, gemütliche, gelb gestrichene Wohnküche. Auf dem Boden Kinderspielzeug. An der Wand Fotos zweier Mädchen. Die Mama kann man sich hinzudenken. Das war's dann mit dem Harem.

Im Laufe dieser Erkenntnis mischt sich spanische Musik mit dem Duft frisch zubereiteten Cappuccinos, und fragen ist überflüssig. Yvelle erzählt. Mit Leidenschaft. Übersprudelnd. Zuweilen voll kindlicher Freude. Begleitet von seinen Händen und manchmal auch von Lauten, die das Gesagte unterstreichen. Über seine Kunst, über sein Leben.

Ein Leben, das vor rund zehn Jahren eine krasse Wendung genommen hat. Denn natürlich hieß dieser 41-jährige Mann nicht immer Yvelle von Alzheim. Und er war auch nicht immer Künstler. Vor zehn Jahren noch war er geschäftsführender Gesellschafter einer gut laufenden Oppenheimer Werbeagentur mit 30 Mitarbeitern. Verdiente an Aufträgen der Pharmaindustrie jede Menge Geld, hatte ein schickes Haus, fuhr Porsche.

Und dann konnte er nicht mehr. Wollte nicht mehr. Hatte sich verloren. Ging es doch nur noch um Kohle. Und so warf Yvelle, der damals schon so hieß, weil seine Kompagnons ihn in einer durchzechten Nacht so getauft hatten, alles hin. Er verkaufte seine Anteile, verließ sein Haus, packte sein Leben in einen Koffer und begann ein Nomadentum, das erst vor wenigen Wochen in der Strohner Schweiz sein Ende gefunden hat.

Yvelle wurde Künstler. Er sang, dichtete, komponierte, performte, schrieb ein Kinderbuch und malte und malte. Und malte sich frei. Zunächst psychedelisch bunte Bilder mit abstrakt-erotischen Motiven. Dann immer filigranere, immer noch bunte Bilder mit mystischen Motiven. Die, die noch da sind, stehen nun in seiner Privatgalerie: einem großen quadratischen Raum mit eleganten Ledersofas in der Mitte. Dort, wo einst die Mühlräder ratterten.

Er malte oft in historischer Gewandung. Denn das noble Berliner Schlosshotel Grunewald hatte ihn von 2004 bis 2006 zur Unterhaltung der Gäste als "Malerfürsten" engagiert - mit der Auflage, sich schleunigst einen adligen Namen auszudenken. Nach einer Nacht und einer Flasche Rotwein hieß der aus dem rheinhessischen Alsheim stammende Künstler dann Yvelle von Alzheim, lachte sich tot und behielt den Namen bei. Selbst seine Bank kennt ihn heute nicht anders.

Er malte wie ein Besessener und mit Erfolg. Nicht nur, weil er davon leben konnte. 2007 zeichnete ihn die Franz-Kafka-Gesellschaft für seine "Typometamorphose" der Erzählung "Die Verwandlung" aus. Bei dieser von ihm erfundenen Kunstrichtung verwirbeln die Buchstaben eines Textes - bis aus ihnen im Fall der Kafka-Erzählung eine Kakerlake wird.

Er malte und malte - und dann hatte er sich leer gemalt. Hatte sich tausendmal gespielt, sich tausendmal in seinen Bildern gespiegelt. Brauchte etwas Neues. Er fand es bei den alten Meistern, ging bei dem Künstler Dietmar Gross in die Lehre und schuf sein "Meisterstück": ein mit althergebrachten Methoden gefertigtes Porträt des Dalai Lama.

Ein Bild, das er ganz offensichtlich liebt. Drei Tage lang habe er staunend davor gesessen. Nun steht es in seinem Atelier - einem hohen, geschmackvoll eingerichteten Raum gleich über der Galerie mit altem Deckengebälk, silbernen Kandelabern und samtrot überzogenem Sofa.

Dort erzählt er entspannt auf dem beheizten Boden sitzend von der Sache mit Peter Maffay. Sie ist der Höhepunkt seines bisherigen Schaffens. Denn Maffay hat ihn beauftragt, ihm zu seinem diesjährigen 40. Bühnenjubiläum ein Lebensbild zu malen - ein Bild, das das gesamte Leben des Musikers widerspiegelt.

Schon 2008 entstand das Konzept - grafisch perfekt präsentiert, wie sich das für einen ehemaligen Werbeprofi gehört. Doch bis es ans Malen ging, verging die Zeit. Denn über Leben muss man reden - und Maffay war ständig ausgebucht. 2009 dann war es geschafft: Von Alzheim zog sich für zwei Monate von der Welt zurück, um auf einem Hof in Üxheim an dem Bild zu arbeiten - und sich nebenbei in die Vulkaneifel zu verlieben. Wie das Lebensbild, das inzwischen bereits bei "Peter" ist, aussieht, darf er nicht verraten. Und brennt er auch vor Ungeduld. Doch laut Vertrag bestimmt Maffay selbst, zu welchem Zeitpunkt seiner Jubiläumstournee er sein Leben in Bildform präsentiert.

Nicht schlimm. Denn dem Künstler kribbelt es schon wieder in den Fingern. Was Altmeisterliches mit fröhlichen Titanen. 200 Mal will er sich vorher dafür nackt in verschiedenen Posen fotografieren , und wieder sprudelt er wild gestikulierend voller Begeisterung über. "Kunst muss aus einem Menschen von innen heraus fließen, strömen oder ihn gewaltig erschauern", glaubt Yvelle von Alzheim. Bei ihm scheint sie einem Gebirgsbach zu gleichen - mal fröhlich glucksend, mal alles mit sich reißend - und stetig, wie das Rauschen der Alf, das sein neues Zuhause unaufhörlich umspielt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort