"Der liebe Gott hat mich geschubst"

Die letzte Offensive Hitlers fand Mitte Dezember 1944 in den Ardennen in der Eifel statt. Die 2-cm-Flakbatterie, zu der ich als 15-jähriger Luftwaffenhelfer eingezogen war, wurde auf einen Feldflughafen verlegt; der bestand aus nichts anderem als einer großen Wiese mit einigen Baracken. Auf diesem warteten noch einige wenige deutsche Messerschmitt-Jäger auf ihren Einsatz. Unsere Batterie sollte diesen Flughafen vor amerikanischen Tieffliegern schützen.Am 24. Dezember 1944, morgens, erschienen hunderte viermotorige Bomber am strahlend blauen Himmel, begleitet von vielen amerikanischen Jägern. Wir saßen an unseren Kanonen, warteten auf das, was an diesem Tag alles geschehen würde.Unsere eigenen Jäger starteten; nach einiger Zeit sahen wir aber nur wenige zurückkommen. Die letzte Maschine war offensichtlich stark beschädigt; hinter ihr flog eine amerikanische Mustang und schoss das deutsche Flugzeug bei der Landung über dem Flugplatz ab. Uns verschaffte das das nötige Schussfeld auf den Amerikaner. Und wenige Augenblicke später sahen wir, wie dieser getroffen hinter einem Hügel eine Bruchlandung machte.Wir hatten aber überhaupt keine Zeit, über diesen "Sieg" nachzudenken, denn nun zeigten sich 30 bis 40 zweimotorige amerikanische Marauderbomber, die unseren Feldflughafen angreifen wollten. Am Ende des Flugplatzes explodierten die ersten Bomben. Die Explosionen kamen immer näher auf uns zu; da wir mit unseren Kanonen nicht mehr schießen konnten - die Maurader flogen zu hoch - verließen wir Hals über Kopf unsere Geschützstellung und sprangen in die Schützengräben oder Einmannlöcher, die wir um unsere Geschützstellung gegraben hatten.Damit endet meine Erinnerung. Ich wurde erst wieder wach, als ich furchtbar fror. Meine Füße waren wie Eis. Ich merkte, dass ich in einem Auto auf einer Pritsche lag. Neben mir saß ein Sanitätsunteroffizier, der auf meine Fragen hin sagte, dass unser Geschütz einen Volltreffer erhalten habe; alle, auch die, die in die Schützengräben und Einmannlöcher gesprungen waren, waren tot. Mich hätten sie als Einzigen ausgegraben. Ich sei nur lebend davon gekommen, weil mein Kopf in dem Einmannloch nach vorne gefallen, sich gegen den Lehm gedrückt habe, so dass unter mir ein Luftraum geblieben sei. Unter mir im Auto lag ein Soldat, der furchtbar stöhnte. Es war der deutsche Pilot, der kurz vorher über dem Flugplatz abgeschossen worden war.Inzwischen war es dunkel geworden. Nach einiger Zeit hielt unser Auto vor einem großen Gebäude, das offensichtlich in Friedenszeiten ein Hotel gewesen war. Als sich die Tür zu dem großen Haus öffnete, wurde ich geblendet. Es roch wunderbar nach Kuchen und Plätzchen. Große Weihnachtsbäume standen geschmückt in den Ecken der Eingangshalle. Und im Hintergrund hörte ich, wie Weihnachtslieder gesungen wurden. Da wurde mir erst bewusst, dass jetzt überall Weihnachten gefeiert wurde; wo immer man es konnte. Eine Ordenschwester, groß und kräftig, nahm mich wie ein Kleinkind in ihre Arme, legte mich in ein wunderbar sauberes Bett und meinte, dass sie mich morgen richtig waschen wolle, heute Abend werde überall gefeiert.So lag ich dann in wohliger Ruhe in meinem Bett. Nur der Sand, der sich aus meinen Haaren und von meinem Körper allmählich löste, störte mich, denn er sammelte sich immer wieder in der tiefsten Kuhle des Bettes.Meine zerrissenen Kleider lagen auf dem Boden neben dem Bett. Die Schuhe hatten - offensichtlich durch den Luftdruck - ihre Sohlen verloren.Nun wurde mir klar, warum ich bei meinem Transport von den Füßen her so furchtbar gefroren hatte. Ich konnte vor dem Einschlafen nur noch daran denken, dass alle meine Freunde und Klassenkameraden tot waren. ich aber wie durch ein Wunder in einer friedlichen, gut riechenden Welt lag. Bis heute denke ich immer darüber nach, warum ich gerettet wurde, warum ich aus meiner Geschützstellung nach links und nicht nach rechts gesprungen bin. Und warum dieser Sprung so richtig war, mir das Leben gerettet hat. Die Antwort, die ich mir bis heute gebe, heißt: Es war nicht Glück oder Schicksal, der "liebe Gott" hat mich in die richtige Richtung geschubst.P.S.: Eines hatte ich aber recht schnell begriffen: dass die Bürokratie - egal wie die Zeitläufe sind - immer das Geschehen beherrscht: Das so genannte "Führerepaket" für die Verwundeten bekam ich nicht. Denn ich war zu spät ins Lazarett eingeliefert worden, die Weihnachtsfeier hatte schon begonnen.SHorst Langes , Honorarkonsul des Großherzogtums Luxemburg und Staatssekretär a.D., wurde 1928 geboren und lebt in Trier.

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