Die Beschützer des Beschützers

Dockendorf · Im Christentum ist er ein Vorbild, für Hannelore und Herbert Jakoby ein wichtiger Bestandteil der Dockendorfer Kultur. Die Rede ist vom Heiligen Sankt Martin. Den haben die Jakobys jetzt durch ein jüngeres Modell ersetzt, um das Original vor dem Verfall zu bewahren.

 Herbert und Hannelore Jakoby sind sichtlich glücklich mit dem neuen Schutzpatron. TV-Foto: Jonas Krewel

Herbert und Hannelore Jakoby sind sichtlich glücklich mit dem neuen Schutzpatron. TV-Foto: Jonas Krewel

Foto: (e_eifel )

Dockendorf. Es ist dunkel, die Nacht längst über Amiens hereingebrochen. Frierend, am ganzen Körper zitternd, sitzt ein nackter Mann am Stadttor der nordfranzösischen Stadt und sehnt sich nach Hilfe. Die Kälte, ja sein ganzes Leid stehen dem armen Bettler ins Gesicht geschrieben und es scheint, als habe er schon all seine Hoffnung verloren - als auf einmal ein einfacher Soldat das Schwert zückt, seinen Mantel in zwei Hälften teilt und eine davon dem Bettler überlässt.
Die Legende dieses Soldaten, dem späteren Bischof Martin von Tours, besser bekannt als Sankt Martin, ist wohl den meisten ein Begriff, gilt er doch als einer der bekanntesten Heiligen im Christentum. Abbilder seiner Person gibt es unzählige: auf hauchdünnen Leinwänden, in den imposanten Buntglasfenstern der Kirchen oder: als liebevoll aufbereitete Steinmetzarbeit, wie sie in der rund 200-Seelen-Gemeinde Dockendorf über der Eingangstür von Hannelore und Herbert Jakoby weilt.
Hannelore und ihr Mann, beide gebürtig aus der Eifel - Herbert sogar ein echtes Dockendorfer Original - ziehen 1979 in ein altes und seinerzeit sanierungsbedürftiges Haus in Dockendorf: das ehemalige Pfarrhaus der Gemeinde. "Das haben wir direkt unter Denkmalschutz stellen lassen", sagt Herbert Jakoby sichtlich stolz auf sein Eigenheim. "Und diese leere Nische da über dem Portal des Hauses ist uns natürlich auch gleich aufgefallen." Lange hätten die beiden allerdings gar nicht suchen müssen, bis sie wussten, für wen dieses Plätzchen über ihrer neuen Eingangstür bestimmt gewesen sei. Richtig: für Sankt Martin.
"Das heutige Gemeindehaus hier direkt nebenan war früher ein Stallgebäude, ein Abstellort sozusagen. Dort haben wir Martin gefunden haben - aber mit abgebrochenem Kopf leider", sagt der ehemalige Bankkaufmann. "Der musste erstmal wieder dran". Angesichts einer Sandstein-Skulptur aus dem 16. Jahrhundert, wie Herbert Jakoby aus dem Band der "Kunstdenkmäler der Rheinprovinz" von 1927 erfährt, muss ein Fachmann her.
Fortan besetzt Martin knapp 30 Jahre wieder jene Nische, die eigens für ihn geschaffen wurde, bis … ja bis die Jakobys ihn 2011 auf Anraten des ehemaligen Kreisdenkmalpflegers, Michael Berens, aus seiner gewohnten Umgebung entlassen müssen. "Die Witterung hatte ihm über die Jahre stark zugesetzt", erklärt das seit 40 Jahren verheiratete Paar. "Zumal das hier ja die Nordseite des Hauses ist: Der Sandstein saugt sich mit Wasser voll, kriegt aber kein Sonnenlicht ab."
Eine Herzensangelegenheit


Hier kommt Esther Wiswe ins Spiel. Hannelore und Herbert kommen 2013 auf einer Kunstausstellung mit der Stein- und Bildhauerin aus Nasingen ins Gespräch. "Die Figur ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf", erinnern sie sich. Schnell ist die Idee geboren, Wiswe eine originalgetreue Kopie von Martin aus dem gleichen Sandstein anfertigen zu lassen, um den kulturhistorischen Wert der alten Figur wahren zu können.
Gesagt, getan: Wiswe nimmt die Skulptur mit in ihre Werkstatt und beginnt zu tüfteln. Mehr als ein Jahr macht sie diesen Auftrag zu ihrer Herzensangelegenheit. Sie widmet sich der über 400 Jahre alten Figur mit höchster Sorgfalt und Demut. "Aus heutiger Sicht ist es einfach unglaublich, wie viel Zeit und Geschick der ursprüngliche Bildhauer in diese Figur investiert haben muss: Schaut man sich allein schon die Unterstechungen an oder die vielen Details, die er streng genommen gar nicht hätte anfertigen müssen", schwärmt die 36-Jährige immer noch. "Es war sehr spannend, sich in ihn hinzuversetzen" - zumal derartige Arbeiten heute kaum noch angefertigt würden, betont sie.
Jüngst hat Wiswe ihr Werk vollbracht. Das Ergebnis: "unheimlich schön und filigran", konstatieren die Jakobys - insbesondere, wenn man sich ins Gedächtnis rufe, dass dieses Kunstwerk mal nichts als ein 300 Kilogramm schwerer Steinklotz gewesen sei.
Seit gestern löst der neue Martin seinen Vorgänger als Beschützer über das ehemalige Pfarrhaus - vielleicht sogar über ganz Dockendorf - offiziell ab. Eingeladen zur Einweihungsparty im kleinen Kreis waren unter anderem der Kreisdenkmal-Pfleger, Detlef Kleintitschen, und natürlich der Ehrengast: Esther Wiswe. Und warum bringen Hannelore und Herbert Jakoby eigentlich so viel Mühe - wohlgemerkt: auch Kosten - auf, vermag man sich zu fragen. An dieser Stelle zitiert Hannelore gerne den 1859 geborenen französischen Politiker Jean Jaurès, der einmal sagte: "Tradition pflegen heißt nicht, Asche aufbewahren, sondern Glut am Glühen halten."

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