Interview mit dem Kyllburger Pfarrer Klaus Bender „Kirche wird nicht mehr so dastehen“

Kyllburg · Seit Ausbruch der Corona-Pandemie leeren sich die Gotteshäuser in der Eifel. Doch in der Krise sei die Kirche schon länger, sagt Klaus Bender. Welche Gründe der Kyllburger Pfarrer und Bitburger Dechant dafür verantwortlich macht, erzählt er im TV-Interview.

 Der Kyllburger Pfarrer Klaus Bender glaubt, dass der Kirche „die soziale Klammer“ verloren gegangen ist.

Der Kyllburger Pfarrer Klaus Bender glaubt, dass der Kirche „die soziale Klammer“ verloren gegangen ist.

Foto: TV/Christian Altmayer

Herr Bender, die Corona-Pandemie konfrontiert die Menschen mit Krankheit und Sterblichkeit. Ist die Kirche ein Ort, wo sie derzeit Halt finden können?

Klaus Bender: Es ist eine zentrale Aufgabe der Kirche, den Menschen in dieser schwierigen Situation Halt zu geben. Aber die Pandemie trifft uns an einer empfindlichen Stelle. Kirchliches Leben braucht Begegnung und Nähe, beides ist im Augenblick nur unter Einschränkungen möglich. Für Gottesdienste gibt es Auflagen und in diesen Tagen wurden wir wieder angewiesen, Sitzungen von Gremien und auch Hausbesuche bei Menschen aus der Risikogruppe zu unterlassen. Da entsteht natürlich Distanz.

Immerhin: Messen bleiben im sogenannten Lockdown light erlaubt, wenn auch mit Einschränkungen. Wie empfinden Sie solche Gottesdienste als Pastor?

Bender: Zu Anfang war es für mich als Zelebrant etwas befremdlich, in ein Kirchenschiff zu schauen, wo maskierte Menschen auf Abstand saßen. Es wirkte auf mich künstlich, irgendwie krampfhaft. Zwischendurch durften wir ja die Masken am Sitzplatz ablegen und wenigstens ein paar Lieder singen – das aber nur mit Maske. Jetzt soll es wieder ein absolutes Gesangsverbot für die Gemeinde geben, das wird die Atmosphäre unserer Gottesdienste nicht verbessern. Zum Glück war die Kyllburger Stiftskirche, wo ich fast regelmäßig die Sonntagsmesse halte, immer noch vergleichsweise gut besucht. Mit den Abständen in den Bänken sah das von vorne voller aus als sonst (lacht). Irgendwie haben wir uns so alle auch an die Regularien gewöhnt.

Haben sich die Gläubigen auch an die Einschränkungen gewöhnt? Kommen sie noch regelmäßig zur Messe?

Bender: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass seit Beginn der Pandemie der Gottesdienstbesuch auch bei uns in der Eifel deutlich zurückgegangen ist. Ich habe von Sonntagsgottesdiensten in unserem Bitburger Dekanat gehört, an denen keine zehn Menschen teilnahmen. Schon vor Beginn der Krise lag der durchschnittliche Gottesdienstbesuch im Bistum Trier – nach offiziellen Zählungen – bei 7,2 Prozent. Das ist übrigens der schlechteste Wert aller deutschen Diözesen. Am nächsten Sonntag wird wieder gezählt. Ich fürchte, wir fallen unter 3 Prozent, und das liegt nicht nur an Maskenpflicht und Abstandsregeln.

Aber was sind dann die Gründe, warum die Kirchenbänke zunehmend leer bleiben?

Bender: Wir haben das Gottesdienst­angebot zurückgefahren, das wirkt sich auch auf die Besucherzahlen aus. Ein Großteil unserer Gottesdienstteilnehmer sind außerdem ältere Menschen, etliche scheuen das Risiko und bleiben lieber zu Hause. Einzelne Gemeinden wollten auch bewusst noch warten, weil sie der Meinung waren, unter den vorgegebenen Auflagen sei ein würdiger Gottesdienst nicht möglich.

Aber bei all dem wird auch ein grundlegendes Problem sichtbar. Kirchliches Leben und christliche Kultur lösen sich seit Jahren langsam auf, da wirkt die Pandemie wie ein Katalysator und beschleunigt diese Zerfallsprozesse. Ich bin überzeugt, die Kirche wird nach dieser Krise nicht mehr so dastehen wie vorher.

Die Kirche steckt also schon länger in der Krise. Woran machen Sie das fest?

Bender: Nehmen wir den Gottesdienstbesuch. Als ich vor 33 Jahren als Jugendpfarrer in die Eifel kam, hatte jede Pfarrei am Wochenende noch zwei Sonntagsmessen und die waren gar nicht mal so schlecht besucht, selbst in den kleinsten Pfarreien nicht. Jetzt gibt es Gottesdienstpläne, nach denen eine Pfarrei nur noch einmal im Monat – oder noch seltener – Eucharistie feiern kann – und das tut sie oft auch nur mit einer Handvoll von Teilnehmern. Im gleichen Maß ging die Zahl der Priester zurück. So gab es etwa 1970 im Bistum Trier rund 1200 Priester, davon etwa 140 im Ruhestand. Zur Zeit haben wir noch 300 Priester, davon ist die Hälfte im Ruhestand. In wenigen Jahren werden wir vielleicht noch 100 Priester im aktiven Dienst haben. Übrigens gehen auch die Zahlen bei den anderen pastoralen Berufsgruppen deutlich zurück. So ist es nicht möglich, unsere kleinteilige Pfarreienlandschaft aufrechtzuerhalten.

Also waren die XXL-Pfarreien doch kein Fehler? In Rom sah man das wohl anders, als man die Reformbestrebungen aussetzte. Und auch gerade in der Eifel gab es heftigen Protest.

Bender:Die Planungen unseres Bistums mit den in der Tat sehr großen Räumen waren ja gerade diesen Realitäten geschuldet. Die Bedenken von Rom betrafen die Fragen der Leitung, die konkrete Einbindung der Gremien und auch das Zeitfenster. Man hat gesagt: In einem Jahr aus fast 900 Pfarreien 35 zu machen, das geht zu schnell. Ich selbst empfand bei den geplanten Reformen als größtes Handikap, dass es uns nicht gelungen war, die Menschen auf diesen neuen und zugegebenermaßen schwierigen Weg mitzunehmen. Es gab zwar die vom Kirchenrecht vorgeschriebene Anhörung aller Gremien, aber die Menschen hatten den Eindruck, dass ihnen da etwas von oben übergestülpt wird.

Aber sprechen die Zahlen nicht auch dafür, dass die Bedeutung der Kirche und vielleicht des christlichen Glaubens in der Gesellschaft allgemein abnehmen? Ist das nicht der Punkt, an dem die Institution ansetzen müsste?

Bender: Ich will es einmal so sagen: Corona ist ja besonders gefährlich bei Vorerkrankungen. Und wir als Kirche haben gleich verschiedene Vorerkrankungen, die wir aber bisher nicht wahrhaben wollten. Jetzt sind wir damit konfrontiert und können nicht mehr ausweichen. Für mich ganz entscheidend ist die Tatsache, dass die Wahrheiten unseres Glaubens für einen Großteil der Zeitgenossen keine Relevanz mehr haben. Das gilt auch für die Kirchenmitglieder. Mit ihrer Lebensgeschichte, ihrem Lebenswissen und ihren Erfahrungen finden die Menschen im „Haus des Glaubens“ nichts, wo sie anknüpfen könnten. So eine bittere Wahrheit ist ja auch im Augenblick, dass auch viele Menschen aus dem inneren Kreis unserer Gemeinden nun seit Monaten ohne Eucharistie leben. Es geht ihnen gut und sie vermissen nichts.

Aber das Interesse an Spiritualität und an Antworten auf die großen Fragen – das gibt es doch noch? Was hat die Kirche hier falsch gemacht, dass die Leute diese Antworten woanders suchen gehen?

Bender: Wir sind als Glaubensgemeinschaft in der Tat Sachverwalter der Wirklichkeit Gottes, der Trans­zendenz, also dessen, was unsere Alltagserfahrungen übersteigt. Und unsere Gottesdienste stehen nicht zuletzt unter dem Anspruch, die Menschen damit in Berührung zu bringen. Unsere Gottesdienste sollen durchaus ansprechend sein, aber wir dürfen sie nicht ausschließlich an ihrem Unterhaltungswert messen. Was ich auch bedauere, ist, dass es kaum noch einen Austausch über Fragen des Glaubens und der Theologie gibt. Das war in den Jahren nach dem Konzil anders.

 In der Eifel ist seit Beginn der Pandemie die Zahl der Gottesdienstbesucher deutlich zurückgegangen.

In der Eifel ist seit Beginn der Pandemie die Zahl der Gottesdienstbesucher deutlich zurückgegangen.

Foto: picture alliance / dpa/Franziska Kraufmann

Das Bedürfnis gibt es Ihrer Meinung nach also noch. Doch wie kann es gelingen, dass die Kirche diesem in Zukunft wieder gerecht wird?

Bender: Ich bin kein Pessimist. Vielleicht hilft uns ja Corona zu einem neuen Denken. Wir brauchen in unserer Kirche keine ausgetüftelten Gottesdienstordnungen, sondern lebendige Gemeinschaften. Stellen Sie sich einmal vor: Wir werfen aus unseren Kirchen einmal die Hälfte der Bänke hinaus, stellen Tische und Stühle auf und laden am Sonntag junge Familien zum Frühstück ein. Und am Ende steht eine kurze Segensfeier. Ich weiß, für etliche unserer treuen Katholiken wäre das der Untergang des christlichen Abendlandes. Aber irgendwie hätte ich Lust, so etwas einmal auszuprobieren.

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