Die Liebe bleibt

Ich kenne das alte Ehepaar mein ganzes Leben lang. Bin ihnen bei vielen Gelegenheiten begegnet.

Er war Schneider von Beruf. Zu einer Zeit, da die Leute ihre Sachen noch nach Maß haben anfertigen lassen. Später arbeitete er als Änderungsschneider in einem Herrengeschäft. Stets war er vorbildlich gekleidet. Von Kopf bis Fuß eine gepflegte Erscheinung.

Sie ist mir besonders durch ihren jährlich gleichen Kommentar am Fronleichnamsfest in Erinnerung. "So schön wie dieses Jahr war euer Blumenteppich noch nie." Wir konnten uns darauf verlassen - auf ihr ehrliches Lob und ihre Anerkennung - ja, wir warteten geradezu darauf. Und wurden nie enttäuscht.

Gemeinsam sehe ich die beiden noch heute auf ihrer Haustürtreppe sitzen, einträchtig nebeneinander. Darauf wartend, dass Spaziergänger vorbeikommen, um ein Schwätzchen zu halten.

Vor einiger Zeit ist sie gestorben. Seitdem geht er mehrmals täglich zum Friedhof. Besucht sie dort.

Doch seine Schritte sind schwer geworden. In der Mitte des Weges muss er einen Halt einlegen. Das Angebot der Familie, ihn mit dem Auto zu fahren, lehnt er ab. Seine Selbstständigkeit ist ihm wichtig.

Schließlich sehe ich ihn am Grab stehen. Dort verweilt er still. Und ich frage mich: Betet er? Spricht er mit ihr? Ganz bestimmt, glaube ich. Ich finde dieses Verhalten rührend und freue mich über seine Verbundenheit mit ihr über den Tod hinaus. Dazu braucht der alte Herr diesen speziellen Ort. Ihr Grab. Das Wissen darum, seine Frau genau an dieser bestimmten Stelle zu finden. Ihr dort nahe sein zu können. Ein kleines bisschen wenigstens. Denn die Liebe bleibt.

Daniela Steil, Jugendpastoral Luxemburg

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