Die nach den Störchen suchen
Bitburg/Prüm · Sie kartieren Pflanzen, finden heraus, wo seltene Vogelarten leben oder welche Flugrouten Fledermäuse wählen. Und je nachdem zu welchem Ergebnis sie kommen, werden Wege, Straßen oder Gebäude so gebaut, wie geplant - oder auch nicht. Eine spezielle Ausbildung brauchen Naturschutz-Gutachter dafür nicht. Klingt skurril. Hat sich aber offenbar bewährt.
Bitburg/Prüm. Sie sind schwarz, scheu, selten, machen während der Balz melodisch Flieh-hööö und sind in der Lage, menschliche Planungen über den Haufen zu werfen: Nachdem ein ornithologisches Gutachten bestätigt hat, dass im Enztal zwischen Holsthum und Enzen neben Neuntöter und Rotmilan auch Schwarzstörche leben, war klar, dass die ursprünglich für einen Radweg geplante Route nicht realisiert werden kann (der TV berichtete). Denn Artenschutz hat in diesem Fall Vorrang.
Um festzustellen, ob geplante Bauvorhaben seltene Tier- oder Pflanzenarten gefährden, müssen sich überall dort, wo Schützenswertes zu vermuten ist, Gutachter auf die Pirsch begeben: Sie belauschen die Vogelwelt, kartieren Pflanzen oder zählen Fledermäuse. Ausgebildete Biologen brauchen sie dafür erstaunlicherweise nicht zu sein. So ist der Gutachter, der die Schwarzstörche nachgewiesen hat, eigentlich Künstler. Ein anderer Ornithologe ist Förster. Und ein gefragter Fledermausexperte im Eifelkreis ist von Hauptberuf Bäcker.
Skurril, wo doch in Deutschland sonst für fast alles Ausbildungsnachweise nötig sind. Doch ist es ungewöhnlich? "Nein", sagt Gundolf Schrenk vom rheinland-pfälzischen Umweltministerium. "Wir haben im Land viele Gutachter, die keine Biologen und dennoch Kenner sind." Denn anders als im Baurecht müssen Gutachter im Naturschutzrecht keinen formellen Ausbildungsnachweis erbringen.
Zu wenige Biologen in der Region
Als Grund dafür vermutet Schrenk die Komplexität der Natur. "Es gibt soviele Arten - so viele ausgebildete Spezialisten gibt es gar nicht". Autodidakten hätten hingegen oft sehr spezielle Kenntnisse. Für die Behörden zählt vor allem, wie das Gutachten aussieht, das sie auf seine Stimmigkeit hin überprüfen.
Zudem betont Monika Ridder von der unteren Naturschutzbehörde des Kreises, dass sie viele der Gutachter schon seit Jahren kenne und diese oft viel besser seien als die Studierten. "Wir sind heilfroh um die Autodidakten", sagt Ridder. Denn in der Region gebe es nur wenige spezialisierte Biologen. Zudem können viele der Untersuchungen nur während der kurzen Balz- oder Brutzeit erfolgen, so dass die Terminkalender der Gutachter manchmal so gut gefüllt seien, dass Bauprojekte warten müssen. Wie der Ornithologe, der das Enztal mit Hilfe international standardisierter Methoden auf gefährdete Vogelarten hin untersucht hat, haben viele der Gutachter schon im Kindesalter angefangen, sich für ihr Spezialgebiet zu interessieren und die Literatur zu wälzen.
Das Ziel: Jeden Pieps einer Vogelart zuordnen können. Da helfe nur jahrzehntelange Übung, sagt der Vogelkundler, der den Schwarzstorch im Enztal nachgewiesen hat. Ein Tal, das Radler nun wohl anders durchqueren werden, als ursprünglich geplant. Grollen sollte man dem Storch nach Ansicht des Gutachters deshalb allerdings nicht. Im Gegenteil. Viele Ausflügler und Touristen kämen doch in die Eifel, weil es dort Tiere wie Schwarzstörche und Eisvögel noch gebe.
Das Bundesnaturschutzgesetz hält in Paragraf 15 fest, dass vermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft zu unterlassen sind. Unvermeidbare Eingriffe müssen begründet und kompensiert werden. Sollte dies nicht möglich sein, ist der Eingriff verboten. Ausnahmen sind möglich, wenn ein großes Interesse der Allgemeinheit besteht - also zum Beispiel, wenn viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Um überhaupt zu wissen, inwieweit ein Projekt mit Naturschutzinteressen kollidiert, werden Gutachter von dem Eingriffsverursacher - also demjenigen, der eine Straße oder einen Industriebetrieb bauen möchte - mit Untersuchungen beauftragt und auch bezahlt. Nach Auskunft der unteren Naturschutzbehörde des Kreises wird allerdings nur das untersucht, was an dem jeweiligen Standort sinnvoll ist: Wo nichts als Maismonokulturen sind, brauche man keine Fledermäuse zu kartieren und auf trockenen Standorten nicht nach Amphibien suchen. kah