Die Sache mit den heißen Kastanien

Zwei Bäume, zwei Ansichten: Vor zwei Wochen wurden zwei alte Kastanien beim historischen Dudeldorfer Stadttor gefällt (der TV berichtete). Das Argument von Orts-Chef Reinhard Becker, dass von den maroden Bäumen eine Gefahr durch herunterfallende Äste ausgegangen sei, lassen zahlreiche Dudeldorfer nicht gelten. Vor allem ärgern sie sich, dass es für die Fäll-Aktion weder einen Gemeinderats-Beschluss gab, noch ein Standfestigkeits-Gutachten vorlag.

Dudeldorf. "Im Herbst sind bereits Äste runter gefallen. Wenn die jemandem auf den Kopf oder das Auto fliegen, ist das Geschrei groß. Ich bin keiner, der wahllos Bäume umhaut, aber da war Gefahr in Verzug", erklärt Dudeldorfs Ortsbürgermeister Reinhard Becker, warum er die beiden Kastanienbäume hat fällen lassen. Dass die Dudeldorfer so sehr an den Bäumen hängen, hat ihn überrascht. Die alten Kastanien hätten mit dem Friedhofs-Tor, den Sandsteinfiguren aus dem 18. Jahrhundert und dem Obertor aus dem 14. Jahrhundert eine "kaum zu überbietende Symbiose von Kultur und Natur gebildet", steht in der Erklärung einer Initiative aufgebrachter Bürger, die mehr als 20 Unterschriften gegen die Fäll-Aktion gesammelt haben. Zudem wollen die Bürger wissen, wer die auf 2000 Euro geschätzten Kosten für die Fäll-Aktion trägt und was mit dem Holz passiert. "Ich bin seit 27 Jahren hier und ich kann mich nicht entsinnen, dass hier je ein Ast von einem der Bäume runterkam", sagt Josef Cillien, der in seiner Gaststätte aus Protest Kastaniencremesuppe serviert hat. Lediglich ein Ast sei nicht mehr richtig grün geworden. Den hätte man ja abschneiden können, aber gleich den ganzen Baum? "Ich hab' schon solche kastrierten Bäume gesehen, damit ist doch auch keinem geholfen", hält Becker dagegen. Zudem sei die Lebenserwartung eines Baumes irgendwann überschritten. Schließlich sei eine der Kastanien nur noch durch Drahtseile gehalten worden. Becker: "Die galten als Naturdenkmäler, wurden teuer saniert und flogen 1995 aus dem Programm raus." Rückgängig zu machen ist das Fällen nun nicht mehr - und auch die Frage, wie gefährlich die Bäume nun waren oder ob der eine nicht doch kerngesund war, ist nun nicht mehr zu beantworten. Aber was die Dudeldorfer nachhaltig ärgert, ist, dass es weder einen Ratsbeschluss gab noch ein Standfestigkeits-Gutachten im Vorfeld beauftragt wurde. "Formalrechtlich ist das in Ordnung. Wenn ein Orts-Chef Gefahr in Verzug sieht, muss er handeln", sagt Rüdiger Otte vom Bauamt der Verbandsgemeinde (VG). Man könne nicht riskieren, dass jemand vom Ast erschlagen wird. Dann müsse die Gemeinde haften. Die VG-Verwaltung war über die Aktion nicht informiert. Otte: "Wenn keine akute Gefahr in Verzug ist, ist es natürlich besser, einen Ratsbeschluss einzuholen." Genau das wünschen sich die Dudeldorfer fürs nächste Mal. Schließlich sind auch die alten Bäume vor der historischen Burg ins Visier geraten. Auch deren Äste werden teils nur noch von Seilen gehalten. Meinung Eine Gefahr, die keiner sah Ein schöner Ort ist Dudeldorf auch ohne die beiden alten Kastanien. Wer's nicht anders kennt, wird die Bäume nicht vermissen. Doch der Aufruhr gründet sich ja auch nur teils auf die verlorene Ortsansicht, die den Dudeldorfern so vertraut war. Im Wesen geht's um die Kritik am Alleingang des Orts-Chefs, der Gefahr in Verzug sah, obgleich die Kastanien - marode hin oder her - immerhin die Sturmtiefs "Kyrill" und jüngst auch "Emma" überstanden haben. So gesehen kann die Gefahr also so drängend nicht gewesen sein, und die Bäume hätten aller Voraussicht nach auch noch bis zur nächsten Gemeinderats-Sitzung zusammengehalten, wo ein Beschluss auf einer breiteren Basis möglich gewesen wäre. Damit hätte sich der Orts-Chef auch selbst einen Gefallen getan, muss er doch nun ganz allein die Kastanien aus dem Feuer nehmen. d.schommer@volksfreund.de

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