Gastbeitrag: Bitburger Häusergeschichten – Teil 3 Die Heimat der letzten Bitburger Juden

Warum das Haus in der Kölner Straße 4 ein unbekannter und trauriger Ort der Erinnerung bleibt.

 Ein unbekannter Ort der Erinnerung: Bis April 1942 lebte hier die jüdische Familie Kallmann.

Ein unbekannter Ort der Erinnerung: Bis April 1942 lebte hier die jüdische Familie Kallmann.

Foto: Thomas Konder

Das Wohnhaus in der Kölner Straße 4, in dem ich früher mal einige Jahre lebte, ist ein Gebäude mit bewegender Vergangenheit. Im rückwärtigen Bereich befand sich lange Zeit ein Fensterbaubetrieb; die Adresse war ebenfalls Sitz des Bitburger Brieftaubenvereins. An vielen Sonntagen konnte man beobachten, wie die Bitburger Tauben von ihren langen Wettkampfflügen über mehrere hundert Kilometer heimkehrten. Ich erinnere mich gerne daran, dass das Haus eine Atmosphäre voller Fröhlichkeit hatte. Ganz im Gegensatz zu dem, was sich dort einmal ereignete.

60 Jahre zuvor gehörte das Haus in der lebhaften Innenstadtzufahrt, die früher einmal Burgweg hieß, der jüdischen Familie Kallmann. Als die Judenverfolgung Ende der 30er Jahre ihren Höhepunkt fand und viele Juden Bitburg längst verlassen hatten, fühlte sich der unbescholtene Viehhändler Silve Kallmann sicher vor den Nazis: „Ich hab das Eiserne Kreuz, mir passiert schon nichts.“ Das Eiserne Kreuz war eine hohe Auszeichnung, die ihm für seinen Dienst im 1. Weltkrieg verliehen wurde.

1938 jedoch wird er dazu gedrängt, sein Haus an Wilhelm und Margareta Jutz zu verkaufen. Er darf es noch gegen Miete bewohnen und wird zur Zwangsarbeit in einer Backsteinfabrik in Quint verpflichtet.

Am 9. November ‘38 verschaffen sich aus dem Umland eintreffende Nazis Zugang zur Bitburger Synagoge und schänden das Gebäude; dann beschmieren sie die Fassaden und Fenster jüdischer Geschäfte in der Stadt. Schließlich wird auch die Familie Kallmann von einem SA-Mann heimgesucht. Er zerschneidet Matratzen, zerhackt mit einem Beil Stühle und Tische und wirft die kaputten Möbel aus dem eingeschlagenen Fenster. Der 11-jährige Augenzeuge Joseph Pelzer, später ein Lehrer von mir, erinnert sich noch im Jahr 2000 entsetzt daran, mit den Worten: „Das werd‘ ich nie vergessen.“

Im April ‘42 schließlich wird die Familie Kallmann zur sogenannten „Evakuierung“ aufgerufen. Tochter Else Kallmann ist 21, ihr Bruder Kurt 19 Jahre alt. Am 23. April 1942 holen Männer in braunen Uniformen die Kallmanns ab. Die Familie wird über Trier und Stuttgart nach Izbica in Polen deportiert und überlebt das KZ Belzec nicht. Das Eiserne Kreuz hatte nicht geholfen.

Das Haus in der Kölner Straße 4, es diente den letzten in Bitburg lebenden Juden als Heimat und ist ein unbekannter Ort der Erinnerung geblieben. Else Kallmann wäre heute übrigens 100 Jahre alt. Eine Straße in Bitburg trägt ihren Namen.  Thomas Konder

 Eine alte Postkarte zeigt links die Häuser Nr. 2 und 4

Eine alte Postkarte zeigt links die Häuser Nr. 2 und 4

Foto: Bildband „Alt Bitburg 1“ der Kulturgemeinschaft
 Die Else-Kallmann-Straße erinnert an die Tochter, die heute 100 Jahre alt wäre.

Die Else-Kallmann-Straße erinnert an die Tochter, die heute 100 Jahre alt wäre.

Foto: Thomas Konder

Gastautor Thomas Konder erinnert in der Reihe „Bitburger Häusergeschichten“ an bekannte Bitburger Namen, ihre Häuser und Geschichten. Erzählungen, die den Blick auf ein vertrautes Gebäude verändern können. Welche Erinnerungen bringen Sie mit der heutigen Geschichte in Verbindung? Schreiben Sie es uns unter eifel@volksfreund.de

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