Die wilden Sechziger: TV-Leserin Rosi Nieder erinnert sich an die Zeit im Bermuda-Dreieck von Kajüte, Costa Marbella und Märchengrotte

Sie war ein Teenie, würden wir heute sagen. Doch vieles, was heute wie Jeanshosen und Beatmusik selbstverständlich dazugehört, wurde vor fünf Jahrzehnten populär. Rosi Nieder aus Herforst, die damals 16 Jahre alt war, erinnert sich an die Zeit, als Mitte der 1960er Jahre sich alles änderte.

So wild wie in den Großstädten war das Landleben in der Eifel nicht, aber in den 60er Jahren änderte sich alles und wir jungen Leute waren die Ersten, die alle Neuerungen und Trends mit Begeisterung aufnahmen.
Tanzabende gab es in unserem kleinen Dorf in der Vulkaneifel bis Mitte der 60er nur an der Kirmes und am zweiten Weihnachtstag. Als wir endlich alt genug waren und mitdurften, in Stöckelschuhen, mit Petticoat und weitschwingendem Rock, später auch in hautengem Rock mit Gehfalte, saßen wir mit hochtoupierten Haaren brav bei den Eltern am Tisch und warteten darauf, dass sich ein Kavalier kopfnickend vor uns einfand und zum Tanz bat. Schnee-Schnee-Walzer, Tango, die Capri-Fischer… Dann änderte sich alles - und zwar rasant.
Nach Schlagern wie Heißer Sand, Liebeskummer lohnt sich nicht, Ramona oder Junge komm bald wieder schwappte eine völlig neue Musikrichtung über unser Land. Wir kauften Plattenspieler, Schallplatten und Kofferradios. Hörten die Beatles, die Rolling Stones, Beach Boys und Co. Diskotheken wurden eröffnet und wir tanzten Twist, Bossa Nova, La Bostella, Casatschok, Letkis. Zu Beatmusik wurden wir wild und zu Serge Gainsbourgs "je t\'aime" drückten wir uns aneinander. Für unsere Eltern und Großeltern war das alles "Nejermusik". Sie verstanden die Welt nicht mehr. Die Zeiten, in denen Pastöre Frauen das Tragen von Hosen und ärmellosen Kleidern untersagten, waren vorbei.
Wir trugen Jeans, die "Nietenboxen", hauteng und mit Schlag. Die Jungs ließen ihre Haare wachsen und wir Mädchen trugen die Röcke so kurz, dass sich unsere Großeltern beim Anblick dieser Schamlosigkeit bekreuzigten. Wir nahmen uns die Freiheit heraus, genau wie die Jungens ‚in die Wirtschaft‘ zu gehen und unser Zigarettchen zu pafften. Bis dahin waren die Wirtschaften eine von dichten Rauchschwaden durchzogene Männerdomäne, in der sonntags nach der Messe der Frühschoppen eingenommen und Skat gedroschen wurde.
Nun waren wir auch dabei, warfen Münzen in die Musikbox und Blicke zu den Jungs, die an der Theke lümmelten. Auf dem Tisch eine Runde Blonder Engel (Eierlikör mit Limo). Partyzeit war angesagt. Mit Käseigeln, Schinkenröllchen, Lambrusco in Zwei-Liter-Flaschen, Flaschendrehen und Vier-Ecken-Raten.
Wir Mädels machten den Führerschein. Ich sparte meinen recht kargen Bürolohn, kellnerte zusätzlich an Wochenenden an der Mosel und leistete mir, stolz wie Oskar, ein eigenes Auto. VW Käfer natürlich. Und dann düsten wir los. Zu sämtlichen Kirmessen im Umkreis, nach Binsfeld zur Kajüte, nach Beilingen zur Costa Marbella und nach Herforst in die Märchengrotte. Diese Gegend wurde durch die sehr bekannten Tanzlokale zum Anziehungspunkt für die halbe Eifel. Auch der NCO-Club der Airbase Spangdahlem öffnete ab und zu seine Tore für Deutsche.
Dass ich in dem Märchengrotten-Ort einmal meinen Wohnsitz haben würde, ahnte ich damals noch nicht. Wenn ich irgendwo in der Region meinen Wohnort nenne, kommt es immer wieder vor, dass Leute unserer Generation gleich auf die Märchengrotte kommen und Jugendschwänke erzählen aus der Zeit, als sich die halbe Eifel in der Kajüte, Costa Marbella, der Märchengrotte und den viele Dorfkirmessen traf. Damals, in den wilden Sechzigern …
Rosi Nieder
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