Die wilden Zeiten sind vorbei

BITBURG. Nach fast 20 Jahren schließt Wirt Michael Kreiensiek die Pforten des Lindenhofs in der Bitburger Saarstraße. Damit geht vorerst ein Stück Kneipenkultur zu Ende.

Der Motor des einstigen Selbstläufers Lindenhof stottert schon seit fünf Jahren. "Ich hätte schon viel früher aufhören sollen", sagt Wirt Michael Kreiensiek. Doch den Abschied vom Gasthaus mit langer Geschichte und Kultstatus zögerte er immer wieder hinaus. Spätestens am Ende des Jahres soll Schluss sein, sagt der Wirt. Mit dem Ende des Engagements von Kreiensiek geht vorerst ein Stück Bitburger Kneipenkultur zu Ende, die ihre Ursprünge zu Beginn des vergangen Jahrhunderts hatte. In den 1920er Jahren konzentrierte sich mit Viehwaage, Schlachthof und Molkerei eine ganze Menge Volk in der Güterstraße am Bahnhof. Durstige Fuhrmänner und später die zahlreichen Postbediensteten kehrten im Lindenhof ein.Anlaufstelle für junge Erwachsene

Die Molkerei ist heute selbst eine Kneipe, die Viehwaage längst Geschichte und auch bei der nahe gelegenen Dienststelle der Post AG tummeln sich nicht mehr so viele Menschen, als dass sich der Betrieb einer Wirtschaft lohnte. Und trotzdem hat die Idee von Kreiensiek und seinem damaligen Kompagnon Wolfgang Richards gut 19 Jahre Bestand. "Wir beide waren damals arbeitslos", erinnert sich Michael Kreiensiek. Von der Freundin von Richards erfuhren im September 1985 die beiden Männer, dass der Pächter des Lindenhofs Nachfolger sucht. "Im Oktober 1985 haben wir dann den Lindenhof übernommen". Beide Wirte waren damals 26 und 28 Jahre alt, was mit dazu beitrug, dass der Lindenhof sich zu einer Anlaufstelle für junge Erwachsene entwickelte. Abiturienten, auf Heimatbesuch weilende Studenten, aber auch Motorradfreunde und viele Handwerker bildeten über lange Jahre hinweg eine Gesellschaft, die im Lindenhof ausgelassen und ausgiebig zu feiern wusste. "Viel Spaß, jede Menge Pils und eine Menge Apfelsaft", umschreibt Kreiensiek diese Zeit. Untrennbar verbunden mit dem Lindenhof dürften drei Ereignisse sein, die die Geschicke der Stadt nachhaltig beeinflussten. So wurde anfangs des 20. Jahrhunderts der SPD-Ortsverein in den Räumen des Lindenhofs gegründet. Auch die Liste Streit konstituierte sich erstmalig in dieser Kneipe. Weniger politisch, dafür um so Aufsehen erregender war hingegen die Gründung der Formation "Der Gelähmte und die kranken Schwestern". Die sorgten Ende der 80er Jahre teilweise für leicht skandalöse Auftritte, kultige Texte ("Mein Standlicht brennt" oder "Sex at the floor") und für Kopfschütteln bei den Eltern. Die sahen es teilweise sowieso nicht allzu gern, wenn ihr Nachwuchs auch mitten in der Woche im Lindenhof zechte, erinnert sich Kreiensiek. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit Ende der 90er Jahre ist es immer stiller geworden in der Kneipe in der Güterstraße. Nur noch am ersten Weihnachtstag platzt der Lindenhof alljährlich aus den Nähten. "Dann geht nach wie vor nichts mehr." Irgendwann werde dann kein Bier mehr gezapft, "und die Stubbis gehen kistenweise über den Tresen", schwärmt der Wirt. Doch dieser einträgliche Tag reicht nicht, den Betrieb auf Dauer aufrecht zu erhalten. Den Lindenhof zu schließen, ist da nur die logische Konsequenz, "auch wenn mir alte Stammgäste immer sagen, dass ich nicht zumachen darf". Schließlich seien Lindenhof und Kesselhaus das letzte Refugium derer, die nicht in einem der angesagten Gastronomiebetriebe ihr Bier zu sich nehmen wollen. Vermutlich Mitte bis Ende Dezember wird Kreiensiek - dem nach eigenen Bekunden nicht viel an einer durchgestylten Gaststätten-Einrichtung liegt, was man der Kneipe auch ansieht - zum letzten Mal hinter dem Tresen stehen. "Mal sehen", sagt Michael Kreiensiek nicht ganz ohne Wehmut, "vielleicht kriegen wir noch einen schönen Abschluss hin."

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