Ein Auftrag für Alfred

Bitburg · 35 Jahre lang hat Alfred Theis in der Küche seines eigenen Restaurants gestanden und Gäste bekocht. Mit seinem alten Leben hat er abgeschlossen. Jetzt hat er hat eine neue Leidenschaft: Taxifahren. Der TV hat ihn auf einer Tour begleitet.

Bitburg. Entscheidend sind die ersten Augenblicke, sagt Alfred Theis. Die Momente, wenn die Beifahrertür gerade geschlossen worden ist. Dann, sagt Alfred Theis, gebe es immer dieses Abtasten. Nicht körperlich sondern zwischenmenschlich. Dann ist der Menschenkenner in ihm gefragt. Er sagt: "Ich bilde mir ein, genügend Menschenkenntnis zu besitzen, um zu erkennen, wen ich da neben mir sitzen habe."
Genau für diese Momente besitzt Alfred Theis drei Türöffner: Frauen, Politik und Fußball. Eins dieser Themen zündet immer, das weiß er aus Erfahrung. Nur bei den älteren Damen, die er vom Friseur abholt, bei denen ist das anders. "Da sage ich meistens, wie gut mir die Frisur gefällt - ab dann reden die nur noch von ihren Haaren."
Alfred Theis kennt sich aus mit Damenfrisuren, auch über die Fußball-Bundesliga weiß er Bescheid und zur Griechenland-Krise hat er ebenfalls eine Meinung, denn Alfred Theis ist Taxifahrer. "Wer fährt", sagt er, "der kennt sich aus - nicht nur in der Stadt, sondern in allen Themenbereichen des Lebens."
Im Moment allerdings fährt Theis nicht. Er steht, und zwar direkt neben seinem Taxi - Toyota mit Hybridantrieb. Sehr zufrieden ist er damit. Und das, obwohl er früher immer nur Benziner gefahren ist. Es ist Donnerstagnachmittag. Kurz nach 14 Uhr. Theis hat seinen Toyota am Taxistand "Auf dem Stock" geparkt. Die Sonne lacht. Er genießt die ersten Frühlingsstrahlen. Seit halb sieben am Morgen ist er im Dienst. 75 Kilometer ist er heute schon gefahren. Jetzt ist gerade wenig los. Keine Aufträge.
"Warten gehört in diesem Job dazu - aber für mich ist das kein Problem." Theis ist 54 Jahre alt, knapp 1,70 Meter groß, Schnurrbart, die Haare akkurat nach hinten gekämmt. Er ist noch nicht lange dabei. Erst seit ein paar Monaten kutschiert er mit seinem Hybrid-Mobil Gäste durch die Eifel rund um Bitburg. Vor Kurzem hat er umgesattelt. Er wollte raus aus seinem alten Job. Es ging nicht mehr. "Ich hatte so viele Kollegen, die Probleme mit dem Herzen hatten - der Stress war einfach enorm." Er hat den Satz gerade zu Ende gesprochen, da krächzt es aus der Funkanlage im Auto. "Fahrgast möchte vom Rehazentrum in Bitburg nach Wolsfeld."
Baggerschaufel auf dem Fuß


Ein Auftrag für Theis. "Da muss ich hin." Dann los. Ab ins Auto. "Wenn ich tagsüber im Dienst bin, fahre ich sehr oft Gäste ins Krankenhaus, oder zum Arzt." Theis nennt diese Fahrten "Krankenfahrten". Auch die Tour mit Ralf Kummer, den Theis jetzt vor dem Rehazentrum einsammelt, ist eine solche "Krankenfahrt". Dem Fahrgast ist im vergangenen Oktober eine Baggerschaufel auf den Fuß gedonnert. Das Ergebnis: Trümmerbruch. Jetzt muss Ralf Kummer regelmäßig in die Reha - und das immer mit dem Taxi. Während Theis seinen Toyota stadtauswärts in Richtung B257 steuert, fängt Kummer an zu erzählen: "Ein bisschen Unterhaltung im Taxi ist natürlich immer ganz nett - es muss aber nicht andauernd jemand reden." Für Theis kein Problem, er kann auch ruhig. Auch auf der Straße ist er ruhig unterwegs. Als "entspannten Fahrer" bezeichnet Theis sich selbst. Es gibt da nur zwei Sachen, die ihn aufregen: Sonntagsfahrer und Nicht-Blinker. "Wenn ich sehe, dass Leute ohne zu Blinken abbiegen oder die Spur wechseln, dann hört\'s bei mir auf - mir ist das unerklärlich."
Aber sonst, betont der 54-Jährige, bringe ihn nichts aus der Ruhe. Auch nicht der betrunkene Fahrgast von vor ein paar Wochen, der schon in Schlangenlinien auf sein Auto zugetorkelt kam. Nach dem Einsteigen gab\'s für den jungen Mann erst einmal eine theissche Einweisung. Sie lautete: "Wenn du kotzen musst, sag Bescheid, dann halt ich an." Gesagt getan. Nach zwei Minuten stoppte Theis sein Taxi. "Der hat die Tür aufgerissen, sich in den Straßengraben gekniet, übergeben und dann ging\'s weiter." Übel habe er ihm das nicht genommen. "Er hat mein Auto ja sauber gelassen, dann ist das kein Thema - da bin ich schon verständnisvoll."
Fahrgast Ralf Kummer ist da unkomplizierter. Nach zehn Minuten setzt Theis seinen Fahrgast sicher in Wolsfeld ab. Gezahlt wird nichts, "das läuft über Krankenschein", erklärt der Fahrer.
Zurück nach Bitburg. Keine einzige Minute, sagt Theis, habe er es bisher bereut, in den Taxiberuf gewechselt zu sein. "Ich mache den Job einfach gerne." Vielleicht sei es auch die letzte Möglichkeit gewesen, aus dem alten Beruf auszusteigen. "Wer weiß, ob ich das mit Anfang 60 noch gemacht hätte."
Kocht nur noch für seine Ehefrau


35 Jahre lang hat Alfred Theis in der Gastronomie gearbeitet. Er ist gelernter Koch. Gemeinsam mit seinem Bruder hat er das Restaurant/Hotel Theis-Mühle in Biersdorf am See betrieben. Es waren stressige Jahre für den Eifeler: Im Sommer keinen Urlaub, oftmals Feierabend erst nach Mitternacht und viele Einsätze an Feiertagen. Theis wollte damit abschließen. Es war zu viel für ihn.
Heute kocht er nur noch für seine Frau. Um die Theis-Mühle kümmern sich nun sein Bruder und dessen Kinder.
Theis parkt seinen Toyota am Taxi-Stand neben dem Kino am Borenweg. Er ist selbstständiger Taxiunternehmer. Hat die Lizenz von einem Bekannten übernommen. "Ich habe zwei Lizenzen, also zwei Autos." Vier Fahrer beschäftigt er, alle auf 450-Euro-Basis. "Reich werde ich durch den Job nicht", verrät Theis, "aber das will ich auch gar nicht - die Hauptsache ist, dass mir der Job Spaß macht und das tut er!"
Wenn Theis erzählt, verzieht er kaum eine Miene. Er lacht wenig. Verlässlichkeit und Ehrlichkeit zeichnen ihn aus. Es ist schwer festzustellen, ob ihm etwas nahe geht oder ob es ihm egal ist. Es wirkt, als würde er einen Schutzwall vor sich hertragen, um die vielen Schicksale, denen er in seinem Job begegnet, nicht an sich heranzulassen.
So wie die Stammkunden, die er zur Behandlung ins Krankenhaus oder zum Arzt fährt, bei denen er jede Verbesserung aber auch jede Verschlechterung des Gesundheitszustandes hautnah miterlebt. "Das beschäftigt mich", gibt er zu. "Aber ich versuche, das nicht mit nach Hause zu nehmen."
Mulmiges Gefühl in der Nacht


Vielleicht ist es auch dieser Schutzwall, der ihn auf seinen Nachttouren begleitet. Denn Angst, betont Theis, kenne er nicht. Nur einmal sei ihm ein wenig mulmig gewesen.
Es ist zwei Uhr nachts vor ein paar Wochen, als er plötzlich einen Anruf erhält. Ein Mann ordert ihn auf einen Parkplatz an der Autobahn 60. "Ich hab\' erstmal einen Kollegen gefragt, was er machen würde", erinnert er sich. Der Fahrer rät ihm: "Fahr hin, und schau dir an, was das für einer ist, dann kannst du immer noch weiterfahren."
Theis folgt dem Rat und macht sich auf den Weg zum Autobahnparkplatz. "Als ich da angekommen bin, sah ich eine dunkle Gestalt neben einem Auto mit französischem Kennzeichen." Er stoppt neben dem Unbekannten und kurbelt das Fenster runter, um zu fragen, wohin die Fahrt gehen soll. "Der hatte kein Benzin mehr und wollte zur nächsten Tankstelle gebracht werden." Und jetzt kommt Theis\' Menschenkenntnis ins Spiel. Diese ersten Augenblicke, die so entscheidend sind. Der Taxifahrer erkennt, dass er dem Mann vertrauen kann. Er lässt ihn einsteigen.
Kurz darauf machen sich Theis, der Unbekannte und zwei leere Benzinkanister auf den Weg zur Tankstelle nach Bitburg. "Er hat dort seine Kanister gefüllt, danach ging\'s zurück zu seinem Wagen auf dem Parkplatz." 70 Euro kostet die Fahrt. "Er hat ein Bündel Scheine aus der Jacke gezogen und brav gezahlt", sagt Theis und blickt auf die Uhr.
Er muss weiter. Der nächste Auftrag ruft. Eine alte Dame wartet darauf, von ihm nach Trier gebracht zu werden. Abtasten wird nicht nötig sein, man kennt sich. Die Frau ist Stammkundin, da weiß Alfred Theis sofort, worüber er sich mit ihr unterhalten kann.

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