Ein Platz für tote Bäume

Eifel/Mosel/Hunsrück · Tote Bäume sorgen für Leben im Wald. Weil sie zahlreichen Arten als Lebensraum dienen, wurden sie bisher vereinzelt stehen gelassen. Um die Gefahr, die sie für Waldarbeiter darstellen, zu verringern, sollen sie im Staatswald künftig in Gruppen angeordnet werden. Die Kommunen der Region entscheiden derzeit, ob sie das neue Konzept auch umsetzen.

Eifel/Mosel/Hunsrück. "Mein Freund, der Baum, ist tot", singt Alexandra mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme. Und spätestens, wenn dann die Geigen einsetzen, trauert der Zuhörer mit der längst verstorbenen Sängerin um den gefallenen Freund aus Kindertagen.
Die Natur hingegen freut sich über sterbende Bäume: Spechte und Fledermäuse machen es sich in ihren hohlen Stämmen gemütlich, bedrohte Käferarten wie der Heldbock futtern sich durch die Rinde, auf der seltene Moose den Stamm emporklettern. Kurz: Totholz dient als Lebensgrundlage Tausender Pilz-, Tier- oder Pflanzenarten. Und viele davon stehen auf der Roten Liste.
Wanderer stoßen im Wald daher jetzt schon regelmäßig auf einzelne tote Bäume, die die Förster bewusst stehen lassen. Und wachsame Wanderer werden sich wohl bald wundern: weil ihnen im Wald vermehrt weiße Wellen begegnen werden. Ein neues Zeichen, das Baumstämme ziert. Ein Zeichen, für biologisch besonders wertvolle Baumgruppen. Und eine Warnung für Waldarbeiter.
Denn das rheinland-pfälzische Umweltministerium hat eine neue Richtlinie herausgegeben, die sowohl für mehr Naturschutz als auch für mehr Arbeitssicherheit im Wald sorgen soll: das "Konzept zum Umgang mit Biotopbäumen, Altbäumen und Totholz".
In den 200 000 Hektar Staatswald, die es in Rheinland-Pfalz gibt, ist die Umsetzung dieses Konzepts ab sofort Pflicht. Doch auch zahlreiche Kommunen und Privatwaldbesitzer in der Region überlegen derzeit, ob sie sich freiwillig den neuen Regeln unterwerfen. Versprechen sie doch einige Vorteile. Für Mopsfledermäuse ebenso wie für Waldarbeiter.
"Wir strukturieren um", sagt Harald Egidi vom Umweltministerium, der an der Entwicklung des Konzepts beteiligt war. Bisher standen tote Bäume einzeln im Wald und stellten so an vielen Stellen eine Gefahr für Waldarbeiter dar. Ist es doch völlig unkontrollierbar, wann Äste abbrechen oder ganze Bäume umstürzen. Wenn diese Baumruinen künftig bei Arbeiten im Weg sind, können sie zur Not auch gefällt werden.
Stattdessen weisen Forstleute dann an anderer Stelle ganze Gruppen von besonders alten, höhlenreichen oder toten Bäumen aus und kennzeichnen diese mit einer weißen Welle. Ein Zeichen, das Waldarbeitern sagt, dass sie um das Gelände einen Bogen machen sollten.
Damit die bedrohten Tier- und Insektenarten nach wie vor bequem von einem Biotop zum nächsten wandern können, soll pro drei Hektar Wald eine solche Baumgruppe stehen. Auch ganze Wälder sollen ausgewiesen werden: wenn sie besonders seltene Arten beherbergen, sehr naturnah sind oder über weite Strecken von einer Krankheit dahingerafft wurden.
Bis die Umstrukturierung abgeschlossen ist, werden viele Jahre ins Land gehen. Denn nur, wo ohnehin gerade gearbeitet wird, ändert sich etwas. Und die Durchforstung des gesamten Staatswalds dürfte fünf bis zehn Jahre in Anspruch nehmen.
Danach bleiben die ausgewiesenen Bäume sich selbst überlassen. Das heißt frei nach Alexandra: Niemand reißt an ihren Zweigen, die (diesmal ganz ohne Geigen) sterbend sich zur Erde neigen.Extra

1000 heimische Käferarten brauchen Totholz, um überleben zu können. Doch so überlebenswichtig tote Bäume auch für Tiere sind, so gefährlich sind sie für Waldarbeiter. Einem Bericht der Unfallkasse Rheinland-Pfalz zufolge wurden in den vergangenen zehn Jahren etwa 90 Unfälle durch stehendes Totholz verursacht. Die Unfallfolgen reichten von leichten Prellungen über schwerste irreversible Körperschäden bis zu Unfällen, die zur Erwerbsunfähigkeit oder sogar zum Tod führten. Die Unfallkasse hat sich daher an der Entstehung des neuen Konzepts beteiligt, das Naturschutz und Arbeitssicherheit in Einklang bringen soll. kah

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort