Erstickt im Mannschaftsbunker

Ich war zwölf Jahre alt und wohnte mit meiner Mutter in unserem Haus am Ortsausgang von Hallschlag. Mein Vater war im Krieg. Heiligabend feierten wir im Haus meiner Großmutter und meines Onkels in der Dorfmitte, nahe der Kirche. Auch einige Soldaten waren dabei. Oma hatte sogar einen kleinen Tannenbaum geschmückt. Am nächsten Morgen, dem Weihnachtsmorgen 1944, schickte mich meine Mutter gegen 9 Uhr zur Oma Milch holen. Wir wollten gerne einen Pudding kochen. Oma bat mich, noch etwas bei ihr zu bleiben, doch ich winkte ab, meine Mutti hatte mich gebeten, sofort zurückzukommen. Sie sagte, die Aufklärer seien schon da und kreisten über Hallschlag. Es lag eine dicke Schneedecke im Dorf, über die Straßen fuhren Panzer und Militärfahrzeuge. Die Häuser waren mit Soldaten belegt, die meisten Bewohner waren bereits evakuiert. Durch Hallschlag führte die Hauptnachschubstraße. Infolge des Schnees und der klaren Witterung konnten die Aufklärer den Ort gut einsehen. Um 10.30 Uhr dröhnte die Luft vom Geräusch der Bomberverbände. Eilig suchten wir Schutz in dem nahe gelegenen Bunker. Eine halbe Stunde später fielen die ersten Bomben auf unser Dorf. In den Bunker drängten immer mehr Soldaten, viele fanden keinen Platz mehr. Wir Zivilisten mussten auf die oberen Bettstellen klettern, wo kaum mehr Luft zum Atmen war. Zwei Männer bedienten einen Ventilator. Während wir im Bunker warteten, fielen bis zum frühen Nachmittag weiter Bomben. Soldaten berichteten, dass viele Häuser getroffen seien und dass man eine Frau vermisse - meine Großmutter. Mutti und ich machten uns auf die Suche. Uns bot sich ein Bild der Verwüstung. Die Dorfstraße war durch tiefe Bombentrichter und Trümmer nahezu unpassierbar. Tote Körper lagen herum. Umgestürztes Mauerwerk verhinderte schließlich kurz vor der Kirche jegliches Weiterkommen, wir mussten umkehren. Am Abend gelang es meinem Onkel, der während der Angriffe im Keller des großelterlichen Hauses überlebte, zu uns durchzukommen. Er berichtete, dass meine Oma noch nach dem Vieh schauen wollte. Sieben Bomben waren auf ihr Haus gefallen, nicht einen Fetzen Stoff hat man mehr von ihr gefunden.Am Abend fanden wir in "unserem" Bunker keinen Platz mehr. Zu viele verwundete Soldaten waren dort inzwischen untergebracht. Auch die nächsten Bunker waren belegt. In einem großen Mannschaftsbunker, wo sich sieben Soldaten an einem Ofen wärmten, war sehr viel Qualm, und mein Onkel sagte: "Hier bleiben wir nicht. Die Luft ist zu schlecht." In der Dunkelheit liefen wir weiter durch den Wald und fanden im nächsten Bunker endlich Schutz für die Nacht. Am Morgen, dem zweiten Weihnachtstag 1944, erfuhren wir, dass die sieben Soldaten in dem anderen Bunker erstickt waren. SAnni Collas , heute 71 Jahre alt, aus Hallschlag hat mit Ehemann Aloys auf dem elterlichen Hof gearbeitet, wo sie heute noch mit ihrem Mann den Ruhestand verbringt.

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