Evangelische Kirchengemeinde Bitburg arbeitet Vergehen ihrer Vorgänger im Nationalsozialismus auf
Bitburg · Erstmals in seiner Geschichte distanziert sich das leitende Gremium der evangelischen Kirchengemeinde Bitburg in einem öffentlichen Schuldbekenntnis von dem Handeln seiner Vorgänger während der NS-Zeit. Über die Gründe für diesen Schritt hat Pfarrer Hans-Ulrich Ehinger mit dem TV gesprochen.
Bitburg. "Einen Schritt der Aufarbeitung zu tun, ist immer schwer", sagt Pfarrer Hans-Ulrich Ehinger. Besonders, wenn zwischen diesem Schritt und den Ereignissen, um die es geht, eine so lange Zeit liege. Noch mehr, wenn es dabei um das Bekennen von Schuld geht - in diesem Fall der des Gremiums, als dessen Nachfolger man sich versteht. Das Presbyterium - das leitende Gremium der evangelischen Kirchengemeinde Bitburg, dessen Vorsitzender Pfarrer Hans-Ulrich Ehinger ist - hat sich jetzt, 80 Jahre nach der Hinwendung zu den Deutschen Christen (siehe Extra), von eben dieser Bekundung distanziert. Darüber hinaus hat man sich mit all jenen negativen Entwicklungen auseinandergesetzt, die die Kirchengemeinde mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte verbinden: dem Nationalsozialismus.
"Ich bin nicht der Auffassung, dass man das ruhen lassen kann", sagt Ehinger. Es gebe immer noch Betroffene, insbesondere Nachkommen, die, so hofft er, jetzt vielleicht froh darüber sind, dass endlich vonseiten der Kirchengemeinde dazu Stellung genommen werde. Unsichtbare Mauern in der Gemeinde - "manchmal bekommen wir sie zu spüren", sagt der Pfarrer, dem zugleich aber auch dies bewusst ist: "Mit welchem Recht dürfen wir von der Kanzel predigen, wenn wir nicht selbst zu unserer Vergangenheit stehen?"
Ein aktueller Anlass, sich mit dem Handeln des Vorgänger-Gremiums in der NS-Zeit auseinanderzusetzen, seien auch die Predigten gewesen, in denen sich die beiden Pfarrer der Gemeinde mit den Thesen der Barmer Theologischen Erklärung beschäftigt haben: Die Bekenntnissynode von 1934 widersprach in sechs Thesen dem Nazi-Regime.
Doch weil Ehinger vermeiden will, dass das Schuldbekenntnis aus dem Presbyterium zu einer "Waffe gegen die Täter" werde, tauchen in diesem Artikel keine Namen auf - weder die von möglichen Tätern noch die von möglichen Opfern. Denn ihm geht es vielmehr darum, Letzteren ein Signal zu senden - "dass wir das nicht unter den Teppich kehren", sagt er. Im Gespräch mit dem TV blickt Ehinger auf die NS-Zeit zurück - und darauf, auf welche Weise sie bis heute nachwirkt.Synagogen brennen
"Es gab damals etwa 40 Juden in Bitburg, die meisten sind 1934 nach Amerika ausgewandert, neun wurden in Konzentrationslager deportiert - und dann war die Stadt mehr oder weniger ‚judenfrei'. Und das ist die trostlose Geschichte von Bitburg", sagt Ehinger. 1934 hat das damalige Presbyterium sich den Deutschen Christen bewusst zugewandt, die Barmer Bekenntnissynode, die sich gegen die Vereinnahmung der Kirche durch die Nationalsozialisten richtete, als "Rebellion" bezeichnet. 1937 hat das Presbyterium einen konvertierten Juden, der mit einer Jüdin verheiratet war, aus der Kirchengemeinde ausgeschlossen. Zahnarzt soll er gewesen sein, erzählt der Pfarrer, und zumindest soll er noch weiter in der Gegend gelebt haben. Ein Jahr später, am 9. November 1938 in der Reichspogromnacht, fielen die Synagogen in Bitburg, Bollendorf und Kyllburg der Zerstörung zum Opfer: Während die in Bitburg verwüstet zurückgelassen wurde, wurden die beiden anderen komplett niedergebrannt. "Während das passiert ist, hat unsere Gemeinde offenbar geschwiegen." Heute erinnern Gedenksteine an die Gebäude.
Einen Lichtblick habe es gegeben, sagt Ehinger, und zwar vermutlich bereits vier Jahre zuvor: "Da ist ein Presbyter mit der Begründung, er lehne das ‚Führerprinzip' in der Kirche ab, zurückgetreten." Man habe wohl noch versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen - doch ohne Erfolg: "Meines Wissens nach ist er aber nicht wieder in die Gemeindeleitung zurückgekehrt."
Doch genau mit solchen Nachforschungen hatte es das heutige Gremium bei der Beschäftigung mit dem Tun der Vorgänger nicht leicht, heißt es im öffentlichen Schuldbekenntnis nämlich auch: "Wir halten mit Betroffenheit fest, dass Protokolle aller Presbyteriumssitzungen von April 1937 bis November 1949 nicht mehr auffindbar sind." Dazu Pfarrer Hans-Ulrich Ehinger: "Es lässt sich nicht erkennen, dass Protokolle aus dem Buch herausgerissen wurden - es ist unerklärlich und der Hammer schlechthin. Wir wissen nicht, was das Presbyterium da gemacht hat." Erst nach dem Tod des damaligen Pfarrers und mit der Übernahme der Sitzungsleitung durch den Superintendenten gebe es dann wieder Protokolle.
Vielleicht finde ja jetzt jemand die verschollenen Dokumente auf seinem Speicher, meint er. Die ganze Geschichte sowie das Schuldbekenntnis hat das Presbyterium am Sonntag bei der Gemeindeversammlung öffentlich gemacht. "Aber ausgestanden ist das damit noch nicht", sagt er. "Aus heutiger Sicht ist es schwer zu sagen: Man hätte aufstehen und sich wehren müssen. Wir wissen, mit welchem Druck die Nazis gearbeitet haben." Dennoch: "Als Presbyterium sind wir das einzige legitimierte Nachfolgegremium, das etwas widerrufen oder eine eigene Schuld bekennen kann. Das kann uns niemand abnehmen." Und das haben die Evangelischen getan: einen Schritt, aber einen großen.Extra
Stets unter der Herrschaft katholischer Gebiete, war das Bitburger Land lange rein katholisch. Mit der Einführung preußischer Verwaltungsstrukturen - am 8. Februar 1815 nahm der preußische Staatskanzler von Hardenberg den Vorschlag des Fürsten von Metternich an, das Bitburger Land der Rheinprovinz anzugliedern, die zusammen mit Westfalen an Preußen fallen sollte - kamen die ersten Evangelischen in Form von preußischen Verwaltungsbeamten in das sonst katholische Gebiet. 1855 wurde in Bitburg der erste evangelische Vikar eingeführt, 20 Jahre später legte man den Grundstein zum Bau der ersten evangelischen Kirche, am 11. November 1876 wurde die Vikariatsgemeinde zur Pfarrgemeinde erhoben. Bis zum Ersten Weltkrieg lebten im Altkreis Bitburg etwa 150 Gemeindeglieder, sagt Pfarrer Hans-Ulrich Ehinger. Bis zum Zweiten Weltkrieg verdoppelte sich die Zahl. Heute hat die evangelische Kirchengemeinde Bitburg, die die flächengrößte Gemeinde in der Bundesrepublik sei, 4400 Mitglieder. Die Größe des Presbyteriums richtet sich nach der Zahl der Gemeindeglieder, heute besteht das Gremium aus acht Presbytern, einer Mitarbeiter-Presbyterin und zwei Pfarrern. eibExtra
Deutsche Christen: eine am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus mit dem Ziel, diesen an die Ideologie des Nationalsozialismus anzugleichen. Bekennende Kirche: eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen die Versuche einer Gleichschaltung der deutschen evangelischen Kirche in der NS-Zeit, etwa durch die Deutschen Christen. Barmer Bekenntnissynode: die konstituierende Synode der Bekennenden Kirche in der NS-Zeit. Sie mündete in der Barmer Theologischen Erklärung. eib