Fünf Jahre lang vor den Nazis versteckt: Elise Heinz überlebt in Speicher den Krieg

Speicher · Ein ganzer Ort, der eine Jüdin vor den Nazis versteckt hat: Elise Heinz überlebte den Zweiten Weltkrieg – in Speicher. Es ist eine der Geschichten, die Werner Peter Streit sowie weitere Augenzeugen und Geschichtsforscher aus Malberg, Irrel, Bollendorf und Kyllburg auf Einladung des Arbeitskreises Gedenken am Mittwoch, 27. April, in Bitburg erzählen werden.

 Elise Heinz, um 1928.

Elise Heinz, um 1928.

Foto: Eileen Blädel/Heimatmuseum Speicher

Speicher ist judenfrei - das meldete am 14. Februar 1939 der damalige Bürgermeister Hermann Funken an seinen Landrat nach Bitburg. Und es stimmte fast. Die jüdischen Bürger hatten den Ort bereits frühzeitig verlassen. Doch während die Juden, darunter Vieh- und Warenhändler, aus Speicher nach Amerika oder Palästina geflüchtet waren, zog es eine Frau 1938 genau dorthin - der Liebe wegen: Ihr Ehemann Leo Heinz, Buchdruckermeister und Katholik, hatte Arbeit in der Druckerei Kievel gefunden. Und so kam die damals 31-jährige Elise Heinz, geborene Blumenberg, aus Köln in die Eifel. Und sie war Jüdin.

Als das bekannt wurde, wollten die Behörden nur eines: sie wieder loswerden. Doch die Druckerei weigerte sich, ihren Mann zu entlassen. Elise Heinz kehrte schließlich offiziell zu ihren Eltern nach Köln zurück und meldete sich in Speicher ab - aber auch nirgendwo mehr an. Sie pendelte. Dann begann der Zweite Weltkrieg. Leo Heinz musste an die Front. Mutter und Vater kamen nach Auschwitz und starben dort. Und Elise Heinz? Wieder führte ihr Weg sie nach Speicher. Dort fand sie Zuflucht - in einer kleinen Wohnung in der Kapellenstraße. Alle im Ort wussten Bescheid, alle hielten dicht. Mehr noch: Viele halfen der Frau. Nur so überlebte sie: fünf Jahre versteckt vor den Nazis.

Wie ein Ort zusammenhält

Was von dieser Geschichte, über die einst so viel Stillschweigen bewahrt wurde, übrig geblieben ist, findet sich heute im Heimatmuseum Speicher: etwa jenes Dokument, das der Bürgermeister 1939 unterzeichnete, alte Fotos von Elise Heinz oder Postkarten, die letzten Lebenszeichen ihrer Eltern. Das alles zusammengetragen hat Werner Peter Streit, der wie alle Juden im Dorf früher auch Elise Heinz noch gekannt habe, erzählt er. Was er vom jüdischen Leben in Speicher weiß, wird er auch am Mittwoch, 27. April, in Bitburg erzählen (siehe Extra).

Viele Speicherer sollen Elise Heinz damals unterstützt haben: Nachbarn stellten ihr zum Beispiel Lebensmittel auf das Fensterbrett. "Besonders zwei Frauen haben Elise Heinz damals unter die Arme gegriffen, beide leben heute nicht mehr", sagt Werner Peter Streit. Wenn die Gestapo kam, halfen sie ihr, sich im Keller zu verstecken: ein kleiner Verschlag, der mit einer Kartoffelkiste getarnt war.

Johann Schneider, der Nachfolger von Bürgermeister Hermann Funken, nahm sie für zwei Wochen in Schutzhaft - eine Heldentat: Er bewahrte sie damit vor dem Zugriff der Gestapo und vermutlich auch vor dem KZ, das war in den letzten Kriegstagen, kurz bevor die Amerikaner Speicher eroberten. "Und die waren überrascht, dass eine Jüdin den Krieg überlebt hat", erzählt Werner Peter Streit.

Elise Heinz starb einige Jahre nach ihrem Ehemann im November 1977 in Köln. Am 18. Oktober 1945 hatte sie ihren Sohn Wolfgang in Speicher zur Welt gebracht. Die Familie war zwei Jahre danach nach Köln zurückgegangen. Erst dann hatte die letzte Jüdin Speicher tatsächlich verlassen.
Extra Jüdisches Leben in der Eifel

Es ist ein Projekt des Arbeitskreises Gedenken: Im vergangenen November erzählte Henri Juda bei der Ausstellungseröffnung über Jüdisches Leben in Bitburg die Geschichte seiner Familie: wie seine Mutter Auschwitz überlebte und sein Vater den Krieg, dank seiner abenteuerlichen Flucht. Im Haus Juda, einst ein bekanntes Bekleidungsgeschäft Ecke Mötscher Straße und Saarstraße, können Interessierte noch immer die Fotos und Dokumente in den Schaufenstern betrachten. Eines der Fenster ist dem jüdischen Leben in der Eifel gewidmet: Denn Juden gab es nicht nur in Bitburg oder Speicher, sondern auch in Bollendorf, Irrel, Malberg oder Kyllburg. Der Arbeitskreis Gedenken hat nun ein weiteres Mal Geschichtsforscher und Augenzeugen eingeladen, die über das jüdische Leben in ihren Orten berichten - darunter: Werner Peter Streit aus Speicher, Ordensprälat Friedrich Kreutz aus Kyllburg, Inge Solchenbach mit ihrem Vater Hubert Weinand aus Malberg, Karl-Wilhelm Gellisen und weitere Mitglieder des Arbeitskreises Bollendorf sowie Peter Wagner aus Irrel. Termin: Mittwoch, 27. April, 19 Uhr, im Sitzungssaal der Kreisverwaltung in Bitburg. Der Eintritt ist frei.

Wer noch mehr über Elise Heinz erfahren möchte: Das Heimatmuseum Speicher ist dienstags bis freitags, sonn- und feiertags, von 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet, Telefon: 06562/9319207.

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