Ehrenamt „Platt, aber glücklich platt“
Bitburg · Lebensmittel retten und Bedürftigen helfen, das haben sich die Tafeln in Deutschland auf die Fahnen geschrieben. Während der Corona-Pandemie hat sich einiges bei der Ausgabe verändert. Ein Besuch bei der Bitburger Tafel.
Die Sonne knallt vom strahlend blauen Himmel herab. Es ist kurz vor 10 Uhr am Mittwoch. Sechs Menschen sitzen und stehen im Abstand von zwei Metern in einem Hof in der Innenstadt. Sonnenschirme spenden Schatten. Und das ist wichtig. Denn mehr als 100 Menschen werden hier über den Vormittag und Nachmittag verteilt warten. Um genau zu sein, sind es derzeit 120 Kunden, die wöchentlich in den Hof in der Neuerburger Straße kommen. Dort bekommen sie Lebensmittel bei der Bitburger Tafel. „Und jede Woche werden es zwei, drei mehr“, sagt Erika Garçon. Viele dieser Kunden versorgen nicht nur sich selbst, sondern auch Partner und Kinder.
Seit elf Jahren arbeitet Garçon ehrenamtlich bei der Tafel. Seit fünf Jahren ist sie Vorsitzende des Bitburger Tafel-Vereins. Von Mitte März bis Ende April war die Bitburger Tafel geschlossen. „Wir mussten uns in dieser Zeit überlegen, wie wir die Ausgabe neu organisieren“, sagt Garçon. Sie hat Termine im Fünf-Minuten-Takt verteilt. Das heißt: Alle fünf Minuten kommen drei Menschen dran. „Diesen Monat haben die einen die frühen Termine, nächsten Monat die anderen.“ Das wöchentliche Rotieren der Termine am Vormittag oder Nachmittag sei im Moment nicht machbar.
„Frau Schulze“, ruft Garçon von ihrem Platz am Eingangstor des Gebäudes. Eine Frau mit grauem Zopf tritt an den Empfangstresen. Ihren Tafel-Ausweis legt sie Garçon hin. Die stempelt ab, dass die Kundin dagewesen ist. Die Kundin legt das Zwei-Euro-Stück in den Deckel einer Schuhschachtel. Die Tafel-Leiterin nimmt den Pappdeckel und schüttet den Inhalt in die Kasse. So muss sie nicht das Geld anfassen. „Das ist hygienischer.“
Die Tafel-Leiterin steht von ihrem Stuhl auf. Zwei Schritte weiter sind Tische und Bänke aufgebaut, auf denen Kisten und Kartons mit Lebensmitteln stehen. Wo früher Kunden zusammen an Tischen saßen und darauf warteten, bis sie die Rampe zum Ausgaberaum hochgehen konnten, dienen die Tische nun als Lager- und Ausgabefläche für haltbare Lebensmittel.
Bevor die Kundin zur Ausgabe der haltbaren Lebensmittel weitergeht, desinfiziert sich die Kundin an einem Spender die Hände. „Bitte nur 1x drücken“, steht darüber. „Spaghetti mit Tomatensauce?“, fragt Garçon. „Ja, gerne“, antwortet die Frau und nickt. Nicht ein einziges Mal wird Garçon ein Nein auf diese Frage hören. Die Tafel-Leiterin schnappt zwei Päckchen aus der Kiste, die hinter ihr auf einer Bank steht. Püree? Haferflocken? Mehl? Scharfe Currysauce? Sie fragt bei jedem Lebensmittel, ob die Kundin etwas davon möchte. Selbstbedienung gibt es nicht. In ihren Unterlagen sieht sie, wie viele Personen mit in dem Haushalt leben. Der Mann, der eine halbe Stunde später kommt, wird für seine zwölfköpfige Familie mehr von allem bekommen als die ältere Dame, die nur sich allein versorgt.
Allein schafft Garçon die Arbeit nicht. Zehn ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen sie seit der Corona-Pandemie dabei, Lebensmittel abzuholen, in die Autos einzuladen, auszuladen, in die Regale einzuräumen und auszugeben. Vorher waren es 65 Mitarbeiter. „Einige von unseren Helfern sind aber um die 80 Jahre alt und gehören damit zur Risikogruppe. Es wäre für mich nicht zu verantworten, sie weiter hier helfen zu lassen.“
Garçon und ihre Mitarbeiter nehmen die Lebensmittel aus den Kisten und legen sie auf einen Tisch. Wenn sie alle Lebensmittel abgefragt und auf den Tisch gepackt hat, gehen sie zwei Schritte zurück. Erst dann dürfen die Kunden herankommen und das Essen in ihren Taschen verstauen. „Dankeschön“, sagt die Kundin. Dann geht sie die Rampe nach oben zu den frischen Lebensmitteln.
„Danke“, „Vielen Dank“, „Dankeschön“, „Merci“ – bei jedem einzelnen Kunden ist spürbar, wie sehr er oder sie sich über Lebensmittel wie ein Päckchen Haferflocken oder Mehl freut. „Man bekommt bei der Arbeit so viel zurück“, findet Garçon. „Wenn ich abends heimkomme, bin ich immer platt, aber glücklich platt.“
Drei Markierungen sind auf der Rampe zum Ausgaberaum, wo es frische Lebensmittel gibt. Und drei Kunden dürfen in den Raum. Dort ist es angenehm kühl. An der rückwärtigen Wand sind Gefrier- und Kühlschränke sowie mehrere Regale aufgebaut. Davor stehen drei Ehrenamtliche. Kunden und Ehrenamtliche trennen silberne Serviertische, wie sie in Großküchen stehen, voneinander.
Zuerst kommen die Kunden zu Anne Rüdesheim. Sie ist Garçons Stellvertreterin und heute die Herrin über das Tiefgekühlte und Kühlgelagerte. Auf den Schränken hinter ihr hängen mit Klebeband befestigte Zettel in verschiedener Höhe. „Pizza Salami“, „Pizza Vegetale“, „Pizza BBQ (Salami, Hackfleisch)“ ist mit schwarzem Filzstift darauf geschrieben. Vor ihr auf dem silbernen Tisch hat sie inzwischen nur noch eine Palette Eier. „Eier? Wie viele Personen hat ihr Haushalt?“, fragt Rüdesheim eine Frau Mitte dreißig. „Ja, bitte. Fünf Kinder, zwei Erwachsene“, antwortet die Frau. „Ich gebe Ihnen zehn Eier. Mehr geht nicht.“ Sie muss mit den raren Lebensmitteln haushalten. „Die Hühner waren heute nicht so brav“, scherzt sie.
Die Kundin mit den fünf Kindern darf zur nächsten Station zwei Meter weiter. Dort steht die 21-jährige Emma Schubert. Sie hilft heute zum ersten Mal mit. Ihr Job als Anfängerin: Schokolade verteilen. Das Regal ist prall gefüllt – mit Osterhasen, Schokoeiern, Knusperriegeln und Nusscremewaffeln. Schubert legt fünf Osterhasen auf den Tisch.
Bei Marie-Jeanne Weber bekommen die Kunden Obst, Gemüse und Backwaren. Brot gibt es reichlich, aber bei Obst und Gemüse ist nicht nur die Auswahl übersichtlich. „Jeder bekommt heute nur ein Stück Obst und Gemüse. Wir können nur das ausgeben, was wir haben“, sagt sie. Seit sieben Jahren hilft sie bei der Ausgabe mit. „Mir ist wichtig, dass ich ein bisschen meiner Zeit für den guten Zweck opfere“, sagt Weber.
Eine Fenchelknolle und einen Henkel Baby-Bananen legt sie der Kundin auf den Tisch. „Wollen Sie auch Brot?“ „Ja, gerne. Haben Sie etwas ohne Körner obendrauf?“ „Schauen Sie mal, das ist ohne Körner, aber oben ein bisschen dunkel.“ „Macht nichts“, sagt die Kundin und packt Fenchel, Bananen und Brot in ihre Tasche. Bevor sie durch die Tür in den Sonnenschein tritt, dreht sie sich um und winkt. „Tschüss! Und Dankeschön!“

Gähnende Leere im Obst- und Gemüseregal. „Das ist häufig im Sommer der Fall, wenn die Campingsaison beginnt. Die Campinggäste versorgen sich selbst und gehen im Supermarkt einkaufen. Dann ist dort einfach nicht so viel Obst und Gemüse übrig“, sagt Garçon. Foto: Michaela Hellmann
Foto: TV/Michaela HellmannWer sich engagieren oder spenden möchte, wendet sich an Erika Garçon, Telefon 06561/670098 und 0171/2603106, E-Mail info@bitburger-tafel.de
Spendenkonto: Volksbank Bitburg IBAN: DE11 5866 0101 00020731 31
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