Fußballschatz landet im Backofen

STEFFELN. Nach der erfolgreichen Serie, in der Zeitzeugen aus der Region von den letzten Kriegsmonaten berichteten, hat der Trierische Volksfreund eine Neuauflage gestartet. Im Mittelpunkt stehen die Wirtschaftswunder-Jahre. Heute ein Bericht von Maria-Agnes Pinn.

Eines meiner schönsten Erlebnisse in den 50-er Jahren war die Fußballweltmeisterschaft. Damals nur aus der Zeitung, denn wir hatten kein Radio. So sammelte ich jeden Tag sämtliche Sportartikel im Trierischen Volksfreund von Sepp Herberger und seinen Jungs, unserer Nationalmannschaft, in einem Karton. Mein Eifer wuchs von Tag zu Tag und ich fieberte mit meinem Freundinnen dem Endspiel zu. So gingen wir zu Maria Palms, weil es in ihrer Familie ein Radio gab. Sohn Hermann war leidenschaftlicher Fußballfan, er schrie mit Rudi Michel um die Wette, nahm Oma Liss ihr Wollknäuel vom Strickzeug und schoss es dauern zwischen den Tischbeinen durch und rief: "So Jungs, so müsst ihr´s machen!" Kurz bevor Oma total verrückt wurde, schrie Michel tatsächlich: "Deutschland ist Weltmeister!" Im Freudentaumel fielen wir uns auch damals um den Hals. Sogar Oma Liss meinte: "Nou hat dat janz Jedöns sich tatsächlich jelohnt!" In Schüller sah man das Endspiel am 4. Juli ´54 sogar schon im schwarz-weißen Fernseher. In der Gastwirtschaft Heinzen hatte die Firma Radio Runge aus Hillesheim ihr erstes Fernsehgerät aufgestellt. Denn weil Schüller 600 Meter hoch über dem Meeresspiegel liegt, war dort guter Empfang gewährleistet Dicht an dicht, wie Heringe im Fass, fieberte Jünkerath und Umgebung dem Wunder von Bern dort entgegen. Draußen hingen noch viele an den offenen Fenstern und verfolgten das Spiel mit Spannung bis zum Sieg. Am 5. Juli und lange darüber hinaus sprach noch alles über Turek, Walter, Liebrich, Kohlmeier und Co. Besonders glücklich schätze ich mich, weil ich die gesamten Weltmeisterschaftsberichte aus der Zeitung gesammelt hatte, mit dem legendären Bild aus Bern, das um die ganze Welt ging. Sorgsam deponierte ich die Helden in meinem Kleiderschrank, wo sie langsam vergilbten. Bis 1961 vor meiner Hochzeit Hausputz gemacht wurde. Zu meinem Pech fielen besagte Schätze meiner Mutter in die Hände und sie rief moralisch entsetzt: "Mein Gott, has du die Männ noch immer? Wat soll denge Mann dann denke, die kunn sofort on de Backowe!" Als gehorsame Tochter musste ich zusehen, wie sie Toni, Fritz, Ottmar, Werner und all meine Jugendschwärme packte und im Backofen verbrannte. Nach 20 Jahren meinten unsere drei Söhne bedauernd: "Mama, wie konntest du so etwas zulassen, es wären heute wahre Schätze für uns." Maria-Agnes Pinn (68), Bäuerin aus Steffeln

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort