Ganze Stadt in einem Boot

Stellen Sie sich vor, Sie wachen auf und merken: Sie fahren zusammen mit Ihrer ganzen Stadt auf einem Schiff. Unmöglich, denken Sie? Ich habe das wirklich erlebt. Sozusagen. Mit 3600 Passagieren plus 1100 Menschen Besatzung an Bord eines Kreuzfahrt-Schiffes.

Das sind fast so viele Bürger wie in meiner Eifel-Stadt Prüm.

Und mehr als das: Amerikaner, Australier, Japaner und Europäer lebten Tür an Tür. Bei den Live-Übertragungen der Fußball-EM-Spiele auf der Großbild-Leinwand demonstrierten die Italiener ihre Hausmacht an Deck - bis sie im Viertelfinale gegen Spanien absoffen.

Das hätte auch mit dem ganzen Schiff passieren können, denken Sie? Ein bisschen mulmig wurde einem bei rauer See schon, schließlich galt auch die Titanic als unsinkbar.

Dem Paradies waren wir jedenfalls schon ziemlich nahe. Restaurants, Pools, Theater, Kasino, Disco, Wellness- und Fitness-Studio, Einkaufszentrum: Die Planer haben an alles gedacht. Sogar an die Ohrstöpsel mit Langwellen- und Kurzwellen-Filter gegen schiffstypische Motorengeräusche und das Schnarchen des Kabinenpartners.

Im Schlaf ging es über Nacht zum nächsten Hafen - fast wie beim Beamen auf dem Raumschiff Enterprise. Das historische Olympia in Griechenland, die Blaue Moschee in Istanbul, die urige Altstadt von Dubrovnik, der wuselige Markus-Platz in Venedig: Im Zeitraffer ließen sich große Kulturen erleben.

Wie das alles inklusive Showprogramm an Bord zum Schnäppchen-Preis möglich war? Einen kleinen Teil der Antwort fand ich bei einer Begegnung um Mitternacht. Das Gesicht der Reinigungskraft, die so spät noch "das Deck schrubbte", kam mir irgendwo bekannt vor. Meine Nachfrage brachte Gewissheit: Der junge Mann mit dem Staubsauger hatte eine Stunde zuvor noch ein Mikrofon in der Hand - als Starsänger der Gala-Show im Theater.

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