Geheimnisse einer Kapelle

SPANGDAHLEM. Der Reichtum der Eifel an sakralen Bauten ist immens. Allein die Zahl der Dorfkirchen und Kapellen – fast überwiegend kulturhistorische Kleinode – wird auf rund 400 geschätzt. Zu den interessantesten zählt die Kapelle auf dem Nikolausberg bei Spangdahlem.

Den Geheimnissen der Kapelle auf dem Nikolausberg bei Spangdahlem, der Ostung und dem Achsenknick, ist Günther Klassen, passionierter Heimatkundler aus Spangdahlem, auf die Spur gekommen. Dazu bedurfte es viel akribischer Kleinarbeit, intensiver Durchforstung diverser Archive, umfangreicher Messungen vor Ort - vor allem aber profunder Sachkenntnisse, verbunden mit der Fähigkeit zu kombinieren. Was Günther Klassen herausfand, ist erstaunlich, fast eine kleine Sensation: Dem Bau der Kapelle liegt die sogenannte Ostung zugrunde; das Kirchenschiff enthält einen Achsenknick. Beides sind bautechnische Merkmale, die in der Regel nur bei größeren Kirchen zu finden sind, so etwa der Achsenknick beim Kölner Dom. Klassens Erkenntnisse sind umso bemerkenswerter, als die im elften Jahrhundert erbaute Nikolauskapelle heute nur noch rudimentär ihrem ursprünglichen Aussehen entspricht. Die meisten sakralen Bauten des Mittelalters wurden nach der Sonne ausgerichtet. Von "Ostung" einer Kirche spricht man, wenn der Altar nach Osten weist. Doch damit nicht genug. Auch Termine wie das Osterfest oder die Wintersonnenwende (damals noch nach dem Julianischen Kalender), der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs und von wo aus er zu beobachten ist, spielten eine Rolle. Kapelle nach Gransdorfer Vorbild geplant

"Warum wurde die Nikolauskapelle an einem eher ungeeigneten, ursprünglich steilen Hang erbaut?", fragte sich Günther Klassen. Hätte man sie nur etwa 30 Meter weiter nördlich auf dem dort nahezu ebenen Plateau errichtet, wäre das wesentlich leichter gewesen. Demnach, so seine These, ging es dem oder den Erbauern darum, die auf einen bestimmten Sonnenaufgang fixierte Ostung von einem bestimmten, logischerweise westlich gelegenen Punkt aus beobachten zu können. Westlich der Kapelle aber gab es nur die alte, damals schon existierende Scheuermühle. Deren fiktivem Bewohner, dem Bauern Jako, unterstellte Klassen, dass er für sich, seine Familie und einige andere eine eigene Kirche bauen wollte. Auf dem Berg sollte sie stehen. Genau da, wo die Sonne morgens aufgeht, wenn die Tage wieder länger werden. Den Wechsel der Jahreszeiten nämlich erlebten die Menschen vor fast tausend Jahren noch wesentlich bewusster als heute, bestimmte er doch ganz entscheidend ihren Lebensrythmus. So wie die in Gransdorf, nur etwas kleiner, stellte sich Jako seine Kirche vor. Beim Bau würden ihm die Himmeroder Mönche helfen. Das hatten sie in Gransdorf auch getan. Nach Gransdorfer Vorbild, mit Ostung und Achsenknick, würden sie auch die Kapelle auf dem Nikolausberg errichten. Mit Jakos fiktiven Gedankengängen lag Günther Klassen richtig. Umfangreiche, von Computerprogrammen flankierte Messungen und Sonnenstandsberechnungen, lieferten den Beweis für seine These: Von der Scheuermühle aus gesehen, steht die Nikolauskapelle exakt an der Stelle, an der am Tag der Wintersonnenwende die Sonnen aufgeht. Nicht ganz so schwierig, obgleich sich die Nikolauskapelle seit dem elften Jahrhundert stark verändert hat, war die Lüftung ihres zweiten Geheimnisses. Den Achsenknick nachzuweisen, gelang Günther Klassen durch genaue Nachforschungen vor Ort und anhand eines Lageplans von 1841, dem ältesten noch existierenden. Im Landeshauptarchiv Koblenz war er fündig geworden. Der Achsenknick ist eine scheinbare Ungenauigkeit in der Längsachse einer Kirche. Er kann bis zu fünf oder sechs Grad betragen. Ihn für einen Baufehler zu halten ist ausgeschlossen, wäre doch für die Bauleute, die beispielsweise in der Lage waren, den Kölner Dom 157,37 Meter senkrecht zu bauen, auch eine gerade Mittelachse kein Problem gewesen. Der Achsenknick, so wird vermutet, war eine Demutsbezeugung der Baumeister gegenüber Gott.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort