Gelebte Inklusion auf Rädern und im Beiwagen

Bollendorf · 120 Teilnehmer haben beim Motorradtreffen in Bollendorf einen besonderen Tag erlebt. Biker und behinderte Menschen verbindet die Freude an gemeinsamen Unternehmungen. Und bei diesen Touren rückt die Behinderung in den Hintergrund.

 Helmpflicht ist Ehrensache: Die Tour ist für alle ein Erlebnis. Foto: privat

Helmpflicht ist Ehrensache: Die Tour ist für alle ein Erlebnis. Foto: privat

Bollendorf. Thomas kommt aus Augsburg, Stefan aus München. Beide sind bereits seit Jahren befreundet und noch vor drei Jahren gemeinsam mit ihren Motorrädern auf Korsika und Sardinien unterwegs gewesen. Vor zwei Jahren dann hatte Stefan einen Schlaganfall. Seitdem ist er halbseitig gelähmt.
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Und seitdem kann er auch kein Motorrad mehr fahren. Trotzdem hat Stefan es sich auch diesmal nicht nehmen lassen, bei dem Motorradtreffen dabei zu sein. Bis vor seinem Schlaganfall ist er noch selbst mit dem eigenen Motorrad angereist. Diesmal kam er mit seinem Freund Thomas. Im Beiwagen von dessen Moto Guzzi. Von München nach Bollendorf, um an einem Motorradtreffen der besonderen Art teilzunehmen. Denn die so genannte "Boots-Tour" ist gelebte Inklusion auf drei Rädern.
Entstanden ist das Ganze eher zufällig, erklärt Peter Bilstein. Als Mitarbeiter der Behinderteneinrichtung Club Aktiv in Trier ist er 2002 von einer jungen Frau, die aufgrund einer spontanen Hirnblutung nach der Geburt ihres Kindes halbseitig gelähmt war, gefragt worden, ob er sie denn auch mal auf seinem Motorrad mitnehmen könne. Bilstein hätte das gerne getan. Das Problem war allerdings, dass er die junge Frau auf seinem Solo-Motorrad nicht mitnehmen konnte.
In einem Moto-Guzzi-Forum im Internet, in dem Bilstein Mitglied war, fragte er deshalb nach, ob vielleicht jemand bereits sei, mit seinem Motorrad-Gespann nach Trier zu kommen, um der jungen Mutter ihren Wunsch zu erfüllen.
Und bereits nach einer Viertelstunde kam die Antwort einer ihm unbekannten, selbst durch einen Unfall behinderten Gespannfahrerin aus Koblenz. Und wenig später meldeten sich weitere Gespannfahrer, sodass schließlich vereinbart wurde, im Sommer 2003 ein Treffen zu vereinbaren, um der jungen Frau, aber auch anderen Besuchern des Club Aktiv eine Gespanntour zu ermöglichen.
In Anlehnung an einer in den Vorjahren im Club Aktiv zur kleinen Tradition gewordenen Schifffahrt auf der Mosel und aufgrund der Tatsache, dass man den Beiwagen eines Motorrads auch Boot nennt, wurde das Ereignis schließlich "Boots-Tour" genannt. Seitdem treffen sich einmal im Jahr Motorradfahrer und behinderte Menschen zur gemeinsamen Ausfahrt.
Rund 120 Teilnehmer mit 30 Gespannen sind diesmal dabei. Der jüngste Teilnehmer ist ein halbes Jahr alt, der älteste bereits 93. In kleinen Gruppen mit jeweils fünf bis sechs Fahrzeugen geht es vom Basislager auf dem Campingplatz Altschmiede in Bollendorf nach Vianden und von dort nach einer kurzen Pause wieder zurück nach Bollendorf, wo dann auf alle Biker und Beifahrer das gemeinsame Essen wartet.
Für Peter Bilsteins Ehefrau Anja Bilstein unterscheidet sich die Boots-Tour deutlich von anderen "Behindertenausfahrten" dieser Art. Schon allein dadurch, dass dabei die Touren eben nicht, wie sonst üblich, "buchstäblich um die Behinderung und die Behinderteneinrichtung" kreisten, erklärt sie. "Die Boots-Tour schafft ein Motorradtreffen, bei dem die exklusive Behinderteneinrichtung verlassen wird und eine inklusive Gemeinschaft entsteht." uhe

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