Größter Gegner ist die Langeweile

Sie können nicht selbst atmen oder haben ein schwer geschädigtes Nervensystem: die Patienten in der Phase F des Krankenhauses in Neuerburg. Der TV hat die Einrichtung, die es seit fünf Jahren gibt und die in der Region einmalig ist, besucht.

 Mit Hilfe eines speziellen Bretts kann Elke Karen trotz ihrer halbseitigen Lähmung Zwiebeln schneiden. Ergotherapeut Axel Wild hilft ihr dabei. TV-Foto: Uwe Hentschel

Mit Hilfe eines speziellen Bretts kann Elke Karen trotz ihrer halbseitigen Lähmung Zwiebeln schneiden. Ergotherapeut Axel Wild hilft ihr dabei. TV-Foto: Uwe Hentschel

Neuerburg. Der Wortschatz von Elke Karen beschränkt sich auf ein halbes Dutzend Wörter. Die davon am meisten verwendeten sind "Ja", "Nein" und "Scheiße". Wobei letzteres ein Ausdruck ist, mit dem die 51-Jährige hemmungslos jede Situation einordnet. Zum Beispiel auch das Kochen.
Seit vier Jahren ist Elke Karen in der Neuerburger St. Elisabeth Pflegeeinrichtung für Phase F und Langzeitbeatmung. Phase F ist Bestandteil der Neurologischen Rehabilitation und steht für die Phase, in der dauerhaft unterstützende, betreuende und zustandserhaltende Maßnahmen notwendig sind. Menschen in der Phase F haben komplexe Ausfall erscheinungen, die oft zu schweren Behinderungen führen.
Elke Karen hatte eine Hirnblutung, ist seitdem halbseitig gelähmt. Die Narbe an ihrem Hals verrät, dass auch sie lange Zeit künstlich beatmet werden musste. Mittlerweile jedoch ist sie wieder selbst Herrin ihrer Atmung. Und Besitzerin eines Rollstuhls, mit dem es an diesem Vormittag runter in die Küche geht. Einmal die Woche wird dort in der Gruppe gekocht. Heute gibt es Rinderbraten mit Sellerie und Püree. Elke Karen schneidet die Zwiebeln für den Braten.
"Der größte Gegner der Therapie ist die Langeweile", sagt Axel Wild. "Die darf erst gar nicht aufkommen". Wild betreibt eine Praxis für Ergotherapie gegenüber vom Krankenhaus und übernimmt einen Teil der therapeutischen Versorgung. Zum Angebot der Einrichtung gehört auch Bewegungs- und Sprachtherapie.
Aber auch Kranken-, Alten- und Heilerziehungspfleger, Schmerz- und Wundexperten sowie Seelsorger und nicht zuletzt die Ärzte. Sie alle sorgen für die zwölf Bewohner.
"Es ist erschreckend, dass junge Leute mit 30, 40 Jahren im Altersheim landen und dort zu Tode gepflegt werden", sagt der Chefarzt der Neuerburger Anästhesie und Intensivmedizin, Rainer Hombach. "Diese Menschen benötigen eine ständige Therapie, um ihren Status zu erhalten." Dass sich dennoch viele Angehörige fürs Pflegeheim entscheiden und damit rund die Hälfte der 23 Betten der Neuerburger Einrichtung leer stehen, hat für Hombach vor allem einen Grund: die Heimatnähe. Die Neuerburger Einrichtung ist im Umkreis von rund 150 Kilometern die einzige dieser Art. Ein ähnliches Angebot gebe es erst wieder in Koblenz und im Saarland. Das Einzugsgebiet der Pflegeeinrichtung deckt also weitaus mehr als nur den Eifelkreis oder die Region Trier ab. Deshalb bietet das Neuerburger Krankenhaus Besuchern mit weiter Anreise die Möglichkeit, im Wohnheim zu übernachten.
Der 35-jährige Thomas Berens (Name von der Redaktion geändert) lebt wie Elke Karen in Neuerburg. Er ist vom Gerüst gefallen. Acht Meter tief.
Ein anderer Bewohner, 53 Jahre alt, ist beim Beladen eines Lasters unter eine Tonne Eisen geraten und hat dabei eine schwere Schädelverletzung davongetragen. Für Menschen, denen so etwas passiert, ist eine Rückkehr ins normale Leben undenkbar. Dass Elke Karen ihre Umwelt heute bewusst wahrnimmt, ist ohne pflegerisches Fachwissen erkennbar. Ihr Schädel musste operativ geöffnet werden, um den durch die Hirnblutung entstandenen Innendruck zu senken. Vier Jahre später sitzt die 51-Jährige in der Küche, um das Mittagessen vorzubereiten. Aufgrund ihrer halbseitigen Lähmung kann sie zum Zwiebelschneiden nur die linke Hand verwenden.
Sie hat ein spezielles Brett, auf dem sie die Zwiebel aufspießen kann. Doch die gemeine Küchenzwiebel erweist sich als äußerst widerspenstig. Therapeut Axel Wild hilft ihr und irgendwann klappt es dann auch. "Scheiße, Scheiße", sagt sie zufrieden.

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