Gedenken Wie Karl Juda den Holocaust überlebte und nach Bitburg zurückkam

Bitburg · Karl Juda überlebte den Holocaust nur, weil er in Luxemburg in einer Scheune versteckt wurde. Trotzdem eröffnet er 1950 in Bitburg ein Textilgeschäft. Sein Sohn Henri Juda spricht heute im Festsaal des Hauses Beda.

 Ein Haus mit Geschichte: Erst Autowerkstatt, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und als Kfz-Werkstatt weiter genutzt. Ab 1950 verkauft Karl Juda hier Herrenbekleidung. Im Mai 1985 wird vor dem Haus gegen den Besuch des US-Präsidenten auf der Kriegsgräberstätte in Bitburg-Kolmeshöhe protestiert. Heute steht das Haus zum Verkauf.

Ein Haus mit Geschichte: Erst Autowerkstatt, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und als Kfz-Werkstatt weiter genutzt. Ab 1950 verkauft Karl Juda hier Herrenbekleidung. Im Mai 1985 wird vor dem Haus gegen den Besuch des US-Präsidenten auf der Kriegsgräberstätte in Bitburg-Kolmeshöhe protestiert. Heute steht das Haus zum Verkauf.

Foto: Alexander Schumitz

Das blau gestrichene Eckhaus hat deutlich bessere Tage erlebt. Über den Schaufenstern erinnern Farbreste an die Zeit, als hier noch Elektroartikel angeboten wurden. In einem der Fenster steht ein Schild: „Zu verkaufen“. Aber es lohnt sich, sich dieses in die Jahre gekommene Haus genauer anzuschauen. Dort erinnern historische Fotos und und kurze Texte an das Schicksal der Juden aus der Bierbrauerstadt – nachdem die Nazis 1933 die Macht übernommen haben.

Die Bitburger Synagoge wurde in der Reichspogromnacht im November 1938 zerstört. Zahlreiche Menschen aus der jüdischen Gemeinde wurden während des Holo­­­caust deportiert und ermordet – in Auschwitz, in Belzec, in Stutthof, in Chelmno, in Sobibor. Gerade in der ländlichen Eifel waren die in Bitburg, Kyllburg, Malberg, Bollendorf und Irrel lebenden Juden oft arm. Auch hieran erinnert die vom Bitburger Arbeitskreis Gedenken organisierte Ausstellung in den Schaufenstern des ehemaligen Bekleidungshauses Karl Juda.

Das warb als „größtes Spezialgeschäft in Herrenoberbekleidung“ mit dem Slogan „Du hast Erfolg, Du siehst gut aus, bekleidet vom Bitburger Bekleidungshaus“. Im Angebot waren „Der Mantel für jede Jahreszeit“ und exklusiv in Bitburg „Gar lustig ist die Jägerei im Jägerkleid von Lodenfrey“. Dass Karl Juda im Jahr 1950 in Bitburg ein Bekleidungsgeschäft eröffnete, überrascht. Aber: „Er liebte seine Heimat“, sagt Henri Juda.

Geboren 1910 in Bitburg, lebte er mit seiner Mutter Klara bis 1935 auf einem Bauernhof in der Eifel. „Zusammen mit seiner Mame – jiddisch für Mütterchen – floh er dann vor den Nazis nach Luxemburg“, erzählt sein Sohn Henri Juda im Gespräch mit dem Volksfreund. Dort bewirtschafteten sie einen kleinen Bauernhof in Befort – bis die Nazis im Mai 1940 das Großherzogtum besetzten und gleichschalteten. Aber als „bescheidener, platt-sprechender, gelernter Landwirt und guter Fußballspieler“ habe er „kaum Probleme mit der luxemburgischen Dorfbevölkerung in und um Befort“ gehabt.

Karl weigerte sich, die vorgeschriebene Armbinde mit Judenstern zu tragen. Stattdessen hing er sie „in jugendlichem Leichtsinn“ seinem deutschen Schäferhund um den Hals. Ein Schurkenstück, das Befort bis heute begeistert. Allerdings sei der Vorfall gemeldet worden. Der spätere Geschäftsinhaber wurde zu Zwangsarbeit verpflichtet. Er kam in ein Arbeitslager bei Greimerath in der Nähe von Wittlich. Ihm gelang die Flucht nach Düsseldorf, wo er bis Weihnachten 1941 Unterschlupf bei einem Bäcker fand. Als die Stadt immer häufiger von den Alliierten bombardiert wurde, radelte er zurück nach Luxemburg.

Das war übrigens nicht die einzige Flucht, die Henri Judas Vater gelang. Als er später in die Schweiz fliehen wollte, wurde Karl Juda von den Schweizer Grenzsoldaten gestellt. Die ließen ihn durch den Rhein bei Weil zurückschwimmen. Dort konnte er nach einigen Tagen einem Wehrmachtsoffizier die Uniform und das Fahrrad stehlen, mit dem er auch dieses Mal zurück nach Luxemburg fuhr. Überlebt hat Karl Juda dann den Zweiten Weltkrieg dank eines luxemburgischen Bauern, der ihn in einem Schuppen versteckt hielt.

Karl Judas Mutter Clara hat den Holocaust nicht überlebt, sie wurde im Februar 1943, ein halbes Jahr nach ihrer Deportation ins Ghetto Theresienstadt, in Auschwitz ermordet. Karl Juda heiratete nach dem Zweiten Weltkrieg Johanna, die die medizinischen Versuche im Block 10 des Konzentrationslagers Auschwitz nur dank der Hilfe der in Trier aufgewachsenen Widerstandskämpferin Orli Wald überlebte.

Für die Geschichte seiner Familie interessiert sich der frühere Banker, seit er von seiner zweiten Frau vor einigen Jahren mit den Worten „sonst gehst Du daran kaputt“ dazu gedrängt wurde. Mit seinem Vortrag, den er heute in Bitburg hält, möchte Henri Juda am Holocaust-Gedenktag erinnern und warnen – vor aufkeimendem Rechtsextremismus und Antisemitismus.

 Reagan-Proteste vor dem Bekleidungshaus Karl Juda

Reagan-Proteste vor dem Bekleidungshaus Karl Juda

Foto: Stephan Garcon
 Bitburg 1911: Die Familie Heinrich Juda,  integriertes Bürgertum mit jüdischem Glauben. Der kleine Karl in den Armen seiner Mutter Clara.

Bitburg 1911: Die Familie Heinrich Juda,  integriertes Bürgertum mit jüdischem Glauben. Der kleine Karl in den Armen seiner Mutter Clara.

Foto: Archiv Henri Juda
 Henri Juda

Henri Juda

Foto: Alexander Schumitz
 Karl Juda

Karl Juda

Foto: Archiv Henri Juda

Henri Juda spricht am, Montag, 27. Januar, um 10 Uhr im Festsaal des Hauses Beda in Bitburg zum Holocaust-Gedenktag über das Schicksal seiner Eltern und ihrer Familien. Der Vortrag trägt den Titel „70 verhängnisvolle Jahre der Zeitgeschichte der Familie Juda“.

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