Hier wird nicht herumgeschriftstellert

Am Tag vor Heiligabend ist es 50 Jahre her, dass der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer starb. Sein Werk ist nahezu makellos, sein Leben war es nicht, aber in seinen Büchern ist eine Welt zu entdecken. Die vier großen Romane sind jetzt in besonders schönen Neuausgaben erschienen, als Zugabe liefert Klaus Nüchtern eine Werk- und Lebensbetrachtung, die Lust auf die Lektüre macht.

 Konnte erheblich komischer schreiben, als er hier gerade guckt: Heimito von Doderer. Foto: Verlag

Konnte erheblich komischer schreiben, als er hier gerade guckt: Heimito von Doderer. Foto: Verlag

Foto: (e_pruem )

Es gibt Bücher, die gewinnen den Leser mit einem einzigen Satz - danach weiß man: Das hier kann eigentlich nicht schief gehen. In Heimito von Doderers "Die Merowinger" ist das auf Seite 33 der Fall - nachdem sich bereits vorher angedeutet hatte, dass dieser Roman immenses Amüsement bereitzuhalten verspricht. Der Satz geht so: "Es hat keinerlei Sinn, hier herumzuschriftstellern, um ein monströses Faktum durch Motivierungen mundgerecht zu machen."
Das monströse Faktum ist Childerich von Bartenbruch zu verdanken, einem 80-jährigen, "knotigen Greis von der Bosheit eines Pavians", der sich - nein, es wird hier wirklich nicht herumgeschriftstellert - "in eine sechsundzwanzigjährige schöne Person verschoss und vergeilte".
Es ist … mächtig kompliziert


Der unsympathische Geront ist indes nur Nebenfigur. In der Hauptrolle: Enkel Childerich III., beide sind späte Nachfahren der ehemals mächtigen Merowinger, die von den Karolingern weggefegt wurden. Und Childerich der Dritte fasst einen irren Plan, den er aber konsequent durchsetzt: Durch geschicktes Heiraten nämlich (unter anderem mit der oben erwähnten, schönen Person, nachdem sich der Opa durch Ableben davonmachte) im Sinne der angestrebten "familiären Totalisierung" sein eigener Groß- und Schwiegervater, Sohn, Enkel und Onkel zu werden (oder so ähnlich), wobei ihm seine wechselnden Gemahlinnen stets den Gefallen tun, infolge von Lungenentzündungen oder anderen Gebrechen irgendwann "nicht mehr aufzustehen".
Das alles ist in seiner wachsenden Unübersichtlichkeit, mit reihenweise auf- und dem Vater auf die Füße tretenden Kindern (leiblich, stief und adoptiv), sehr, sehr komisch dargestellt.
Jetzt haben wir die Firma Hulesch & Quenzel Ltd. noch gar nicht erwähnt, deren Produkte allein dem Ziel dienen, den Menschen das Leben zur Hölle zu machen (nein, als der Roman verfasst wurde, gab es Microsoft noch nicht).
Zwischenhalt: Wir müssen über die Widersprüche reden, die mit diesem Schriftsteller verbunden sind, auch wenn er für Daniel Kehlmann, wie dieser im Nachwort zu Doderers bekanntestem Roman, der wirklich wunderbaren "Strudlhofstiege", sagt, so viel besser ist "als fast alle deutschsprachigen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, dass man von der Höhe dieser Prosa den offiziellen Kanon mit amüsierter Verblüffung betrachtet". Denn Doderer trat in den 1930ern der NSDAP bei.
Das taten bekanntlich auch andere spätere Großschriftsteller, und er selbst, nachdem er sich noch in den 30ern vom Nationalsozialismus zu distanzieren begann und der katholischen Kirche beitrat, bezeichnete es später als seinen großen, "barbarischen" Lebensirrtum.
Es bleibt ein Schatten

Hier wird nicht herumgeschriftstellert
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Hier wird nicht herumgeschriftstellert
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Hier wird nicht herumgeschriftstellert
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Hier wird nicht herumgeschriftstellert
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Nach dem Zweiten Weltkrieg stufte man ihn als unbelastet ein. Der dunkle Fleck bleibt, neben einigen anderen persönlichen Absonderlichkeiten: "Wer Eindeutigkeiten schätzt, moralisch sicheren Grund unter den Füßen braucht, ist bei diesem Autor an der falschen Adresse", sagt Literaturkritiker Denis Scheck, der für die "Merowinger" ebenfalls ein Nachwort beisteuerte.
Es gibt mildernde Umstände: Für Klaus Nüchtern, der gerade ein mitreißendes Buch über Doderers Werk vorgelegt hat, scheint es "unbestreitbar, dass sich der Autor von den 50er Jahren an bis zu seinem Lebensende immer wieder an seiner politischen Verfehlung abgearbeitet hat".
Klaus Nüchtern versteht es in "Kontinent Doderer" von der ersten Seite an hervorragend, die Lust auf die Romane zu wecken, denn "trotz des nicht ganz unbegründeten Vorwurfs, kompliziert, umständlich und verstiegen zu sein", sagt er, werfen sie "bei sachgemäßer Nutzung doch einen beträchtlichen Gewinn ab". So ist es.
Wer sich die teils dicken Doderer-Brocken (darunter auch "Die Dämonen" und "Die Wasserfälle von Slunj", bei C.H. Beck jetzt ebenfalls neu und in der wunderschönen Gestaltung der Originalausgaben aus den 50er und 60er Jahren veröffentlicht) vielleicht nicht gleich vornehmen will, für den ist "Das letzte Abenteuer" genau das Richtige, Doderers Ritterroman. Der nämlich ist, mitsamt Drachenkampf, kein fetter Schinken, sondern ein schlankes Werk von 120 Seiten, verfasst in einer Sprache so schön wie der Morgentau.
Vielleicht wird das ja für manch einen Leser das erste Doderer-Abenteuer, danach dürfte er mehr wollen.

Klaus Nüchtern: Kontinent Doderer. Eine Durchquerung. C.H. Beck, 350 Seiten, 28 Euro.

Heimito von Doderer: Das letzte Abenteuer. Nachwort von Martin Mosebach. C.H. Beck Textura, 120 Seiten, 14,95 Euro.

Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre. Nachwort von Daniel Kehlmann. C.H. Beck, 944 Seiten, 28 Euro.

Heimito von Doderer: Die Merowinger oder die totale Familie. Nachwort von Denis Scheck. C.H. Beck, 377 Seiten, 24 Euro.

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