"Ich wollte den Krieg eigentlich vergessen" - Speicherer Museumsleiter Werner Streit erzählt aus seinem Leben

Speicher · Wer in den Genuss kommt, von Museumsleiter Werner Streit persönlich durch das Speicherer Heimatmuseum geführt zu werden, merkt schnell: Dieser Mann leitet nicht nur das Museum, er ist das Museum. Mit dem TV hat der 89-Jährige über sein Leben und sein Engagement gesprochen.

 Werner Streit, Leiter des Heimatmuseums in Speicher. TV-Foto: Wilma Werle

Werner Streit, Leiter des Heimatmuseums in Speicher. TV-Foto: Wilma Werle

Speicher. Dieser Mann soll 89 Jahre alt sein? Kaum zu glauben. Schnittig fährt er mit seinem kleinen Auto vors Museum, flink erklimmt er die Stufen, hellwach erzählt er aus seinem Leben, das besonders von den Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg geprägt ist.
Seit der Eröffnung vor 28 Jahren leitet Werner Streit das Museum. Damals war der Kaufmann, der mit einem Großhandel über 500 Läden in der gesamten Eifel beliefert hatte, gerade in Pension gegangen. Mit seiner Devise "ganz oder gar nicht" hat er das Museum zu einem Raritätenkabinett ausgebaut, in dem sich ein Besuch lohnt: Vom Tante-Emma-Laden mit seinen Blechdosen und Glasbonbonnieren über einen Friseursalon, ein komplett eingerichtetes altes Klassenzimmer bis zum gefürchteten Zahnarztstuhl, inklusive Bohrer, wird das Alltagsleben der Eifeler aus vergangenen Tagen wieder lebendig.
80 Prozent der Ausstellungsstücke sind Schenkungen, zehn Prozent Leihgaben, nur wenige Dinge sind gekauft. Sogar aus dem Müll hat Streit Fundstücke herausgefischt. Seine ganze Zeit und Leidenschaft steckt er in sein Hobby: "Für mich gibt es keine halben Sachen. Disziplin und Ordnung sind Erfahrungen aus dem Krieg. Die habe ich mitgenommen." Täglich ist er von 10 bis 18 Uhr im Museum. "Was soll ich zu Hause? Trübsal nach Noten blasen?" Sicher sei der Tod seiner Frau nach 59 Jahren Ehe im vorigen Jahr schmerzhaft gewesen, sagt er, aber "man darf sich nicht selbst bemitleiden". Und außerdem "sind wir mit dem Sterben groß geworden".
Viele seiner Freunde sind nicht mehr aus dem Krieg heimgekehrt. Er selbst wurde zweimal verwundet.
Das Kriegsende erlebte Streit in einem Lazarett in Prag. Von dort machte er sich zu Fuß auf den Weg in die Heimat. Sechs Monate lang marschierte er gemeinsam mit einem Kameraden immer nach Westen, nur nachts, immer in Angst. "Wir ernährten uns von den Früchten des Feldes und des Waldes." In Bad Kissingen trafen sie auf eine Familie aus Trier, der er einen Brief an seine Eltern mitgab. So wussten sie: Der Sohn lebt noch. Die letzte Tagesetappe führte ihn von Osann nach Speicher. Dort versteckte er sich im Haus einer Tante, da die Franzosen einen Teil seines Elternhauses belagert hatten.
Als Kind hatte Streit immer Soldat werden wollen. Doch dann änderte der Erste Weltkrieg seinen Plan. "Einmal einen Krieg verloren - nie wieder!" Und mehr noch: Er wollte diese Erlebnisse vergessen, nie mehr daran denken. Aber durch die Berichterstattung über die Kriegsereignisse in den Medien komme alles wieder hoch, sagt er. Und auch die aktuelle Ausstellung im Museum ("Not macht erfinderisch") über die Eifeler, die nach dem Krieg aus allem, was vom Himmel gefallen war, etwas Brauchbares herstellten, zwang ihn, sich mit der Geschichte, auch seiner eigenen, auseinanderzusetzen. Und so sagt er heute: "Soldat sein ist einer der schönsten Berufe - solange kein Krieg ist. Wir brauchen die Leute im Inland bei Katastrophen und auch im Ausland. Ich habe großen Respekt vor Soldaten."
Streit hat für sein Engagement schon viele Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Kulturpreis der Verbandsgemeinde Speicher, die rheinland-pfälzische Verdienstmedaille und Anerkennungen der amerikanischen Streitkräfte und der Reservistenkameradschaft. In knapp zwei Wochen erhält er den Deutschen Bürgerpreis für sein Lebenswerk.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort