In Speicher ist Hitler immer noch Ehrenbürger

Speicher/Prüm · Dass Adolf Hitler zu Lebzeiten in unzähligen Gemeinden Deutschlands die Ehrenbürgerrechte verliehen bekam, ist kein Geheimnis. Doch während viele Städte im Nachhinein diesen Status wieder aufgehoben haben, dümpelt der Führer mancherorts weiterhin fast vergessen in den Archiven herum - so etwa in Speicher und Prüm.

Speicher/Prüm. "Die Verleihung der Ehrenbürgerschaft von Speicher erfüllt mich mit aufrichtiger Freude. Ich nehme die Ehrenbürgerschaft an und bitte, dem Gemeinderat ergebensten Dank sowie meine besten Wünsche für das Blühen und Gedeihen von Speicher aussprechen zu dürfen." So steht es in einem Schreiben vom 17. Juni 1933. Empfänger ist die Gemeinde Speicher und der Absender kein Geringerer als Reichskanzler Adolf Hitler.
Für Speicher ist dieser Brief nicht das erste Dankesschreiben aus Berlin. So hat sich bereits zwei Monate zuvor Reichspräsident Paul von Hindenburg für die Verleihung der Ehrenbürgerrechte bedankt. Hindenburg ist derjenige, der Hitler 1933 zum Reichskanzler ernennt. Insofern ist die Entscheidung des Gemeinderats, die Ehrenbürgerrechte im Doppelpack zu verleihen, durchaus plausibel.
Doch die Brieffreundschaft zwischen Speicher und Berlin ist damit längst nicht beendet. "Noch ganz unter dem Eindruck der die westlichen Gebiete unseres Reiches befreienden Tat unseres Führers und Reichskanzlers stehend", habe die Gemeinde Speicher "aus dem Gefühl der Dankbarkeit heraus" den Beschluss gefasst, "erforderlich werdende Gelände in ausreichender Weise dem Reich zur Verfügung zu stellen", heißt es 1936 in einem Brief an den Führer. Mit der "befreienden Tat" ist die einen Monat zuvor erfolgte Rheinlandbesetzung (siehe Extra) gemeint.
Was das Gelände betrifft, erklärt Werner Peter Streit, Leiter des Heimatmuseums Speicher: "Nach der Rheinlandbesetzung waren sie alle euphorisch. Deshalb nehme ich an, dass die Gemeinde Speicher daran interessiert war, eine Wehrmachtseinheit mit Kaserne zu bekommen." Schließlich sei um diese Zeit auch mit dem Bau der Kaserne in Bitburg begonnen worden. Und zwischen den beiden Gemeinden habe es damals eine starke Rivalität gegeben.
Andere Stadt, andere Ehre


Bis zur Ehrenbürgerschaft hat es der Führer in Bitburg aber nicht geschafft. Trotz Kaserne. "Die Bitburger waren damals nicht so schnell", erklärt Stadtarchivar Peter Neu. Wenngleich es natürlich auch in Bitburg parteitreue Anhänger der Nazis gegeben hat. So hieß beispielsweise der Spittel damals Horst-Wessel-Platz, benannt nach dem SA-Sturmführer, der den Text zur offiziellen Parteihymne der NSDAP geliefert hat. Diese Namensgebung des Platzes wurde im Nachhinein aber wieder korrigiert. Wohingegen Hitler und Hindenburg ihre Ehrenbürgerschaft in Speicher nie entzogen bekommen haben.
Was kaum einer mehr weiß


Laut rheinland-pfälzischer Gemeindeordnung erlischt das Ehrenbürgerrecht zwar ohnehin mit dem Tod des Ehrenbürgers, doch haben seit Kriegsende die meisten der bundesweit bis zu 4000 Gemeinden Hitler die einst verliehene Ehrenbürgerschaft wieder gekündigt, um damit ein Zeichen zu setzen. Wie beispielsweise vor drei Jahren auch Trier.
Heimathistoriker Streit, der zum Schriftwechsel zwischen Speicher und Berlin bereits seit vielen Jahren Unterlagen im Speicherer Museum ausstellt, vermutet, dass in dem Ort wahrscheinlich kaum einer wisse, dass Hitler die Ehrenbürgerschaft nie aberkannt wurde. Das bestätigt Bürgermeister Rudolf Becker: Dass Hitler in Speicher mit diesem Titel bedacht worden sei, habe er nicht gewusst. Nun, nachdem er davon erfahren habe, könne er sich eine Entziehung der Ehrenbürgerrechte durchaus vorstellen. Dafür zuständig wäre dann allerdings nicht die VG, sondern die Stadt, wo Stadtbürgermeister Erhard Hirschberg auf TV-Anfrage ähnlich verdutzt reagiert: "Davon höre ich zum ersten Mal." Wie er nun mit diesem neuen Wissen umgehe, könne er so schnell nicht sagen, fügt er hinzu. "Darüber müssten wir dann sicher mal im Stadtrat beraten."
Ähnlich wie in Speicher ist die Situation übrigens auch in Prüm, wo Hitler ebenfalls zum Ehrenbürger ernannt und diese Ernennung nie rückgängig gemacht wurde. Damit konfrontiert, verweist Prüms Stadtbürgermeisterin Mathilde Weinandy nach Rücksprache mit Prüms Verbandsbürgermeister Aloysius Söhngen auf denselbigen, der im Gegensatz zum Amtskollegen Becker um das dunkle Kapitel der Abteistadt weiß. Handlungsbedarf besteht für Söhngen jedoch nicht: "Die Ehrenbürgerrechte erlöschen mit dem Tod." Deshalb sehe er auch keine Notwendigkeit darin, Hitler im Nachgang diese Rechte ein zweites Mal zu entziehen.Extra

Februar 1936: Als Reaktion auf den Beistandsvertrag, den Frankreich und die Sowjetunion Ende Februar 1936 abgeschlossen haben, ließ Hitler wenige Tage später, am 7. März, die bis dahin entmilitarisierte Zone im Rheinland von Truppenteilen der Wehrmacht besetzen. Hitler wollte mit dieser Besetzung die Souveränität seines Reiches über die Westgrenze Deutschlands wiederherstellen. In der NS-Propaganda wurde dieser Akt als "Rheinlandbefreiung" deklariert. Konsequenzen für Deutschland hatte dieser Schritt jedoch zunächst nicht, da sich die Siegermächte des Ersten Weltkriegs, allen voran Großbritannien, durch Hitlers Friedensbeteuerungen ruhigstellen ließen. Im Nachhinein betrachtet gehen Historiker davon aus, dass die Siegermächte damit wohl die letzte Möglichkeit vertan haben, durch ein direktes Eingreifen den später von Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieg zu verhindern. uhe

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