Archiv Mai 2005 Otto und der Revoluzzer

PRÜM. Die Innen- und Justizminister aus sieben EU-Staaten unterzeichnen am Freitag in Prüm ein Abkommen zur polizeilichen Zusammenarbeit (der TV berichtete). Otto Schily hat aber zugleich etwas Privates zu erledigen: Er will sich über seinen Vorfahren Viktor informieren, der vor 156 Jahren das Zeughaus in der Abteistadt stürmte.

 Frappierende Frisuren-Ähnlichkeit: Zeughaus-Stürmer Viktor Schily (Mitte) und Mitstreiter, gezeichnet von Walter Zimmer aus Prüm auf Basis von Gerichtsdokumenten. Hat sich der Illustrator dabei vom Aussehen des Innenministers inspirieren lassen? "Ja, natürlich", sagt Zimmer. "Man muss sich ja irgendwie helfen."Foto: Fritz-Peter Linden

Frappierende Frisuren-Ähnlichkeit: Zeughaus-Stürmer Viktor Schily (Mitte) und Mitstreiter, gezeichnet von Walter Zimmer aus Prüm auf Basis von Gerichtsdokumenten. Hat sich der Illustrator dabei vom Aussehen des Innenministers inspirieren lassen? "Ja, natürlich", sagt Zimmer. "Man muss sich ja irgendwie helfen."Foto: Fritz-Peter Linden

Foto: TV/Fritz Peter Linden

Nein, ein wirklicher Aufrührer ist der Deutsche nicht direkt, da könnte er sich ruhig vom französischen Nachbarn eine tranche abschneiden. Der Bundes-Michel hält sich quasi schon für einen Revolutionär, wenn er, wie jetzt in Nordrhein-Westfalen, eine konservative Regierung ins Amt wählt. Von ganz anderem Kaliber ist da die Familie von Innenminister Otto Schily (SPD): Die Eltern waren beide überzeugte Nazi-Gegner. Ein gutes Jahrhundert davor, am 18. Mai 1849, stürmte einer seiner Ahnen, der - auch das passt ja irgendwie - Trierer "Advokat" und gebürtige Prümer Viktor Schily an der Spitze von rund 100 wild entschlossenen Männern das Zeughaus, ein Waffendepot der von den Preußen in der Abteistadt installierten Landwehr. Viktor, Karl und Otto

Ergebnis: Das komplette Bataillon lief in Windeseile über und überließ den Angreifern die Waffen. Der siegreiche Viktor soll später zudem ein guter Genosse von Karl Marx gewesen sein - einem der ganz wenigen Trierer, die es dauerhaft über die Regionalliga Süd hinaus schaffen konnten. Offenbar will sein familiärer und beruflicher Nachfahr Otto nun den offiziell als "Arbeitstreffen" tief gehängten Eifeler EU-Gipfel nutzen, um sich in Prüm näher über den Vorfahren zu informieren. Vielleicht lässt sich zudem mit Blick auf die herbstlichen Neuwahlen etwas darüber herausfinden, wie man einen Gegner ruckzuck zur Aufgabe zwingen kann. Wie auch immer: In Prüm ist der hohe Besuch von Herzen willkommen. "Ich freue mich maßlos", bekennt Stadtbürgermeisterin Mathilde Weinandy (CDU) und meint damit ausdrücklich nicht das Ergebnis der NRW-Wahl vom Sonntag. Von wegen: Ein EU-Treffen mit Ministern aus sieben Staaten - "so etwas werden wir hier in den nächsten 30 Jahren bestimmt nicht mehr kriegen", sagt sie. Näheres zum Hintergrund der Vertragsunterzeichnung im Fürstensaal des Regino-Gymnasiums und zur Entscheidung über den Austragungsort hat man ihr zwar vorerst nicht mitgeteilt, aber: "Die landen ja alle in Luxemburg. Dann hätten sie die Unterschrift auch da machen können." Das ist erstens richtig und hätte zweitens die Ausgaben für den Helikopterflug in die Eifel gespart. Da bleibt als Argument für Prüm neben seinen Sehenswürdigkeiten wie Abtei, Basilika, Mehrzweckhalle und Parkhaus eigentlich nur das Private: "Prüm war Schilys Wunsch, es muss das persönliche Interesse sein", ist Mathilde Weinandy überzeugt und setzt alles daran, dem Innenminister und seinen Amtskollegen ein standesgemäßes Willkommen zu bereiten.Die Prümer "sind schon wer"

Ein paar Bürger als Empfangskomitee (die Gäste werden gegen 14.25 Uhr vor der ehemaligen Abtei erwartet und begrüßt) sollen es - trotz des Brückentags - deshalb schon sein: "Wir wollen denen ja keine leere Stadt präsentieren." Sondern eine, die sich nicht nur auf ihre historische Bedeutung als Sitz des Karolingischen Hausklosters etwas einbilden darf: "Wir sind schon wer", sagt die Bürgermeisterin mit einem Lächeln: "Das ist keine Worthülse, das ist eine Tatsache!" Ganz ausgestorben dürfte die Stadt aber sowieso nicht sein: Mit dem geballten Aufmarsch der regionalen und lokalen Amts-, Würden- und Bedeutungsträger ist ebenso zu rechnen wie mit kurzzeitigen Verkehrsbehinderungen. Die Unterzeichnung des Vertrags "über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration" ist gegen 14.45 Uhr, hinter verschlossener Tür, im Fürstensaal des Regino-Gymnasiums. Während der Anreise der Minister aus Deutschland, Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg, Österreich und Spanien sind Straßensperren vorgesehen.

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