Inolinyenga! Nicht bewegen!

Traben-Trarbach/Windhoek · 300 Patienten in einer Woche: Das Team um den Traben-Trarbacher Augenarzt Dr. Andreas Künster hat bei seinem Arbeitseinsatz in Namibia mehr als genug zu tun. Die Aufgabe: Erfolgreich operieren und den Menschen ihr Augenlicht zurückgeben. TV-Mitarbeiter Falko Schiemann hat das Team nach Namibia begleitet.

Traben-Trarbach/Windhoek. Schon bei der Ankunft am Windhoek International Airport um 5 Uhr morgens zeigt sich, dass die Uhren ab sofort anders ticken. Afrika hat seine eigene Zeit. Als wir den Flughafen zwei Stunden später endlich verlassen können, ist es schon hell. Kleinere Unstimmigkeiten mit den Visa haben unseren Tatendrang ausgebremst.
Wir fahren zum nächsten Flughafen. Andreas Künster hatte uns vorgewarnt: "Dies wird kein Entspannungsurlaub!" Künster ist Augenarzt in Traben-Trarbach und nimmt zum wiederholten Mal mit dem Verein "Kids and Poors Eyes International" am Eye Camp in Namibia teil.
"This is Africa "


Wir erreichen den Eros Airport, einen kleinen Flughafen bei Windhoek. Ein Militärflugzeug im grünen Tarnanstrich erwartet uns bereits. Die Maschine aus chinesischer Fertigung hat Platz für 15 Personen. Die beiden Turboprop-Motoren starten. Doch sie werden gleich wieder abgestellt. Die Pilotin erklärt, dass der rechte Motor nicht rundläuft und wir deshalb nicht starten können. Auf dem Landweg würde die Reise etwa zwölf Stunden dauern. Die Airforce organisiert eine Ersatzmaschine. In anderthalb Stunden soll sie eintreffen. Wir stehen auf dem Flugfeld in der prallen Sonne. In den folgenden drei Stunden passiert nichts.
Es gibt unter Afrikareisenden ein geflügeltes Wort: TIA - This is Africa (Das ist Afrika). Soll bedeuten, dass man in Afrika mit vielem rechnen muss, was man aus Europa nicht kennt. Ein paar Stunden Verzögerung sind ganz normal.
Unsere baugleiche Ersatzmaschine hat nur eine karge Fallschirmspringerausstattung. Wir sitzen nebeneinander auf Bänken entlang der Flugzeugwand. Diesmal klappt der Start auf Anhieb, und wir steigen auf 3500 Meter Höhe. Ohrenknacken und ein flaues Gefühl im Magen begleiten den zweistündigen Flug. Gelegenheit, erste Kontakte zu den anderen Ärzten zu knüpfen, die mit uns in den Norden Namibias reisen.
Begrenztes Raumangebot



Drei Augenärzte aus den USA und ein freundlicher namibischer Kollege sind mit von der Partie. Dazu noch zwei Ehefrauen der Ärzte, die assistieren werden.
Als wir Oshikuku erreichen, ist es schon fast dunkel. Wir fahren 40 Minuten bis zum Hotel. Die Nächte in Afrika sind deutlich dunkler als in Europa. Jedenfalls in kleineren Ortschaften wie dieser. Am nächsten Morgen können wir einen ersten Blick auf die Anlage werfen. Bennis Entertainmentpark und Lodge wird hauptsächlich von afrikanischen Gästen besucht. Viele Angolaner machen in dem 30 Kilometer von der Grenze entfernten Ferienpark Urlaub.
Um 7.30 Uhr soll es losgehen. Um 9 Uhr fährt endlich der Bus zum Krankenhaus. "TIA" eben. Dort angekommen, werden wir von den örtlichen Ärzten begrüßt und eingewiesen. Das Raumangebot ist begrenzt. Hinter einem Vorbereitungsraum mit vier Betten liegen die Operationssäle. Im größeren OP gibt es vier Plätze, im kleineren zwei. Hier richten sich Andreas Künster und sein Team ein.
Das St. Martin\'s Hospital ist ein großes Krankenhaus im Distrikt Oshikuku. Vor einigen Jahren wurden der Klinik mehrere Mikroskope speziell für Augenoperationen gespendet. Weitere Mikroskope wurden aus anderen Krankenhäusern Namibias nach Oshikuku gebracht, um das Eye Camp zu ermöglichen. Ohne diese Ausstattung wären die sogenannten Katarakt-Operationen nicht möglich.
Der Zeitplan ist straff, die Operationen beginnen ohne Verzug. Bereits Wochen im Voraus wurde vom örtlichen Personal sondiert, welche Patienten für die Operation infrage kommen. Insgesamt wurden 300 Menschen angemeldet. Sie kommen aus dem gesamten Umland und werden mit speziell dafür vorgesehenen Bussen zum Krankenhaus gefahren. Mobile Ärzteteams waren zuvor in kleinen Dörfer, um direkt bei den Menschen zu Hause erste Untersuchungen vorzunehmen.
Am Operationstag bereiten die örtlichen Krankenpfleger und Ärzte die Patienten im Vorraum vor. Dazu werden Mittel injiziert, die die Pupillen erweitern und den Augeninnendruck senken. Sobald ein Operationsplatz frei ist, wird der Patient zum OP-Tisch geführt. Jeder Eingriff dauert, je nach Schwere des Falles, zwischen 20 und 40 Minuten.
Die anderen Teams wenden ein Verfahren an, bei dem der komplette Augeninnenkern durch einen circa sieben Millimeter großen Schnitt aus dem Auge entfernt wird.
Dr. Künster und sein fünfköpfiges Team von "Kids and Poors Eyes International" verfügen über eine sehr kleine und damit transportable Phaco-Maschine. Sie ermöglicht die Operationstechnik, die auch in Deutschland und anderen Industriestaaten angewendet wird: Der Augeninnenkern wird durch Ultraschall zertrümmert und anschließend abgesaugt. Hierzu ist lediglich ein Drei-Millimeter-Schnitt notwendig, was die Heilung beschleunigt und die Operation verträglicher macht. Bei beiden Methoden wird anschließend eine sogenannte Intraocularlinse eingesetzt.
Straffer Zeitplan



"Inolinyenga!", hört man immer wieder während der Operationen. Es heißt so viel wie: "Nicht bewegen!" Die Patienten müssen ganz ruhig liegen. Um das sicherzustellen, ist bei jeder Operation immer ein Pfleger als Übersetzer dabei, denn viele der meist älteren Patienten können kein Englisch.
Am ersten Tag werden 40 Operationen absolviert, am zweiten schon 70. Die Tage beginnen um 8 Uhr mit der Fahrt zum Krankenhaus. Operiert wird bis nach 19 Uhr. Der Zeitplan ist eng. Vom Land selbst bekommt keiner der Ärzte viel zu sehen.
Um die Verpflegung zur Mittagszeit kümmert sich die Krankenhausküche. Es gibt regionale Spezialitäten wie Eselsfleisch, Kürbis, Reis, Hähnchenkeulen und Fisch. Gegessen wird in dem kleinen Aufenthaltsraum für das Personal, meist im Stehen oder, wenn man einen Stuhl ergattert hat, mit dem Teller auf dem Schoß. Nur der zum Getränkekühlschrank umfunktionierte alte Medizinkühlschrank geht den meisten zur Mittagszeit auf die Nerven, weil er bei häufigem Öffnen einen zu starken Temperaturabfall feststellt und mit einem nervtötenden Piepsen reagiert, um die vermeintlichen Medikamente zu retten.
Nach der Operation wird der Patient auf die Station gebracht. Die meisten Zimmer sind wegen der großen Zahl an Operationen überbelegt. Um Platz zu schaffen, liegen nur die Matratzen im Raum - die Bettgestelle stehen im Innenhof.
Applaus für die Ärzte


Durchschnittlich 15 Patienten sind auf einem Zimmer. Und alle sind froh, dass ihnen geholfen wird. Niemand beschwert sich über die schwierigen Umstände. Die morgendlichen Visiten gehören zu den eindrucksvollsten Momenten. Die Menschen können - zum Teil nach Jahrzehnten - das erste Mal wieder sehen.
Applaus für die Ärzte! Freudig werden Lieder angestimmt. Der älteste Patient ist über 100 Jahre alt, der Jüngste erst 20. Die meisten Operationen verlaufen unproblematisch, sodass die Patienten schon am nächsten Tag entlassen werden.
"Es ist ein gutes Gefühl, dass man mit seinem Wissen und Können ein Leben grundlegend positiv verändern kann. 80 Prozent der Blinden auf der Welt sind nur wegen Grauen Stars erblindet. Grauer Star ist mit einer 20-minütigen Operation behandelbar, und die Menschen können sofort wieder sehen", sagt Dr. Michael Colvard von der University of Southern California.
Er nimmt seit dem ersten Eye Camp 1997 an dem Programm teil und hat sich auch früher schon häufig an humanitären Einsätzen in Afrika beteiligt. "Es ist eine große Freude, als Arzt hier zu arbeiten, weil man nur das macht, was einem am Ärzteberuf wirklich Spaß macht. Die meisten unangenehmen Sachen, wie sie in den USA und Europa bei Operationen anfallen, gibt es hier nicht. Hier hilft man den Menschen als Arzt, ohne den halben Tag Formulare auszufüllen." 300 Patienten wurde in dieser Operationswoche geholfen. Die Tage waren anstrengend, aber für alle ein bewegendes Erlebnis. Das Abenteuer endet so, wie es begann: mit einem holprigen Flug in einer grünen Militärmaschine über ein weites und kontrastreiches Land. Aber dieses Mal kommt die reparierte Maschine mit den bequemeren Sitzen. Fast schon Luxus.
Mehr über die Arbeit der Augenärzte im Internet unter <%LINK auto="true" href="http://www.kids-and-poors-eyes.de" class="more" text="www.kids-and-poors-eyes.de"%>

Extra

1997 wurde das Eye Camp von Dr. Helena Ndume ins Leben gerufen. Sie studierte in Deutschland Medizin und wollte nach ihrer Rückkehr nach Namibia etwas gegen die stark verbreitete Blindheit durch Grauen Star unternehmen. Das Camp macht mehrmals im Jahr überall im Land Station und untersucht die Betroffenen. Ehrenamtliche Unterstützung bekommen die einheimischen Ärzte von internationalen Ärzteteams. Meistens werden etwa 300 Patienten für die OP-Woche angemeldet und operiert. Beim ersten Camp wurden von 500 untersuchten Patienten mit verschiedensten Augenerkrankungen 300 für die Katarakt-Operation zugelassen. Letztlich erschienen allerdings nur 80 Patienten. Zu groß war das Misstrauen. Davon, dass man Augen operieren konnte, hatte noch nie jemand etwas gehört. Der Erfolg gab dem Programm recht. Beim nächsten Mal kamen alle angemeldeten Patienten. Namibia ist flächenmäßig mehr als doppelt so groß wie Deutschland, hat aber nur 2,1 Millionen Einwohner. Bis heute gibt es erst sechs operierende Augenärzte. Der Verein "Kids and Poors Eyes International" setzt sich seit 1998 in Dritte-Welt-Ländern für eine bessere Gesundheitsversorgung ein. 2008 war der erste Einsatz in Namibia. Seitdem wurden acht Camps unterstützt. Zusätzlich wurden auch Brillen für Schulkinder angefertigt und kostenlos ausgegeben. Zu den Ärzten, die den Verein unterstützen, gehört auch Dr. Thomas Schwarz, der in Bernkastel-Kues eine Augenarztpraxis betreibt. red

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