Interview „Ich sehe die Kinder viel weniger lachen“

Die Schulsozialarbeiterin an der Grundschule Bitburg-Süd spricht über ihre Arbeit in Zeiten von Pandemie und Lockdown.

 Melina Ballmann.

Melina Ballmann.

Foto: Tv/privat

Melina Ballmann (36) ist  seit eineinhalb Jahren Schulsozialarbeiterin in Bitburg und war zuvor für die Schulen in Waxweiler, Daleiden, Lützkampen und Arzfeld zuständig. Sie ist Mutter von zwei Kindern (12 und 14 Jahre).

Frau Ballmann, wie sieht konkret die Schulsozialarbeit im verschärften Lockdown aus?

Melina Ballmann: Ich bin täglich von 10 bis 15 Uhr für Lehrkräfte, Eltern und Schüler telefonisch und per E-Mail zu erreichen, wobei Grundschüler natürlich sehr selten selbst anrufen. Mindestens zweimal in der Woche bin ich in der Schule.

Bei Bedarf führe ich persönliche Gespräche und mache Hausbesuche, um in Kontakt zu bleiben. Bei Familien mit Problemlagen ist Homeschooling teilweise mit großen Schwierigkeiten verbunden. Für Eltern mit geringen Deutsch-Kenntnissen ist es  besonders schwer, den Kindern die nötige Unterstützung zu geben. Vereinzelt habe ich Online-Sprechstunde mit Kindern. Das macht natürlich am meisten Spaß.

Was stellt Sie derzeit vor die größten Probleme?

Melina Ballmann: Persönlich ist es für mich, so wie wahrscheinlich für alle berufstätigen Mütter, am Schwierigsten,  meine Arbeit und das Homeschooling der eigenen Kinder unter einen Hut zu bekommen, und beides auch noch gut zu machen. Beruflich ist für mich die größte Herausforderung, mit den Kindern in Kontakt zu bleiben. Die Organisation von Online-Sprechstunden für Kinder kostet einfach mehr Zeit und ist mit mehr Hürden verbunden als einfach in der Schule die Bürotür zu öffnen. Daraus folgt leider auch, dass mögliche Problemlagen viel schwieriger erkannt werden können, da Eltern leider immer noch häufig Scheu haben, von sich aus den Kontakt zu mir zu suchen. Dazu kommt, dass Online-Gespräche nicht den gewohnten, geschützten Rahmen haben. Häufig sind Eltern oder Geschwister in der Nähe und es ist unwahrscheinlich, dass Kinder ehrlich benennen würden, dass es ihnen nicht gut geht. Manche Familien haben große Ängste, finanzielle Notlagen und weitere seelische oder gesundheitliche Belastungen. Oft ist Schule hier für Kinder und Eltern entlastend. Das ist in der aktuellen Situation, trotz Notbetreuung kaum möglich.

Was erzählen Ihnen die Kinder, wie sie mit der schwierigen Situation umgehen?

Melina Ballmann: Die meisten sind sehr tapfer und sagen, dass es ihnen trotz allem gut geht. Aber ihnen ist langweilig, sehr langweilig. Sie möchten wieder zur Schule gehen, vor allem um ihre Freunde zu treffen und in den Pausen spielen zu können. Und natürlich vermissen sie auch die Lehrerinnen und Lehrer. Manche sogar mich. Den Unterricht finden einige online auch „cool“ aber die meisten möchten wieder „richtig lernen“. Eins wünschen sich aber alle: „Corona soll weggehen.“

Welche Beobachtungen haben Sie seit Ausbruch der Pandemie gemacht im  Hinblick auf die Entwicklung der Kinder?

Melina Ballmann: Das ist schwierig pauschal für alle Kinder zu beantworten. Einige Kinder leiden sehr unter der aktuellen Situation, für andere ist es kaum ein Problem. Mir sind aber vor allem zwei Dinge besonders oft aufgefallen. Den Kindern fällt es viel schwerer, Kompromisse mit anderen einzugehen. Ich hatte vor den ersten Schulschließungen kaum Schwierigkeiten, bei Streitschlichtungen zu vermitteln. Zuletzt konnte aber häufig gar keine Einigung gefunden werden. Das andere ist Schwermut. Ich sehe die Kinder viel weniger lachen und auch die besprochenen Themen haben viel öfter mit Ängsten zu tun, die über Schulnoten oder Streit mit Freunden hinausgehen. Letztens fragte mich ein Kind mit Fluchterfahrung: „Frau Ballmann, wenn du entscheiden könntest, nie wieder Krieg oder kein Corona mehr, was würdest du wählen?“ Ein anderes: „Warum sollen wir denn überhaupt noch in die Schule gehen, wenn die Welt durch Corona eh untergeht?“  In solchen Momenten wünsche ich mir dann oft, dass ein ausgefallenes Fußballtraining oder die fehlende Geburtstagsfeier die größten Sorgen der Kinder wäre.

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