Interview mit Katja Görgen Ist die Eifel eine Zielscheibe? - Friedensaktivistin aus Bitburg wirbt für Abrüstung

Bitburg/New York · Die Bitburgerin Katja Görgen hat sich bei den Vereinten Nationen für atomare Abrüstung eingesetzt. Im Interview erzählt sie, warum es sich gerade in der Eifel lohnt, sich zu engagieren.

 Aktivistin Katja Görgen (Mitte) bei einer Demo in Büchel.

Aktivistin Katja Görgen (Mitte) bei einer Demo in Büchel.

Foto: Katja Görgen

Die junge Frau richtet ihr Mikrofon. Die Deutsche heftet ihre Augen auf das Blatt in ihren Händen. Ihr Gesicht ist auf einer Leinwand im Plenarsaal zu sehen. Ihre Worte dringen durch die Kopfhörer der Diplomaten, die um sie herum sitzen. Es sind Hunderte. Selten sind die Anzugträger angehalten, einer wie ihr zuzuhören: einer Studentin, einer Friedensaktivistin, überhaupt einer jungen Frau. Denn die sind unter den Vertretern der Vereinten Nationen (UN) rar.

„Wir sind hier, weil unsere Anführer versagt haben“, sagt sie. Die Worte hallen durch das UN-Hauptquartier in New York. Einem Ort, wo einige dieser Anführer sitzen. Auch deutsche Politiker, die seit Jahren von einer Abrüstung sprechen, die nicht vorangeht. Im Eifelort Büchel (Landkreis Cochem-Zell) ertwa lagern US-amerikanische Atomwaffen. Ihre Gegenstücke hat Russland in osteuropäischen Staaten stationiert. So schrecken die Weltmächte sich in Europa ab. Ein notwendiges Übel, das Sichereit schafft, glauben einige Politiker. Kritiker hingegen behaupten, die Politik sei ein Machtspiel, das den Frieden gefährde.

 Katja Görgen beim Besuch des Un-Headquarters in New York.

Katja Görgen beim Besuch des Un-Headquarters in New York.

Foto: Katja Görgen

Unter ihnen ist die Rednerin, die in New York ihr Statement verlesen hat. Für das sie übrigens – auch das ist selten bei einer UN-Konferenz – schallenden Applaus erhielt. Geschrieben haben an dem Text 18 Mitstreiter, die die Deutsche Friedensgesellschaft zur Vorbereitungskonferenz der Erneuerung des Atomwaffensperrvertrags entsendet hat. Dabei war auch die gebürtige Bitburgerin Katja Görgen, die sich  seit Jahren für die Abrüstung einsetzt. Im Interview erzählt die 25-Jährige, was Weltpolitik mit der Eifel zu tun hat und, warum es junge engagierte Frauen braucht, um politisch etwas zu bewegen.

Katja, wann hast du begonnen, dich mit dem Thema „Abrüstung“ zu beschäftigen?

Görgen: Das hat während meines Studiums  in Marburg angefangen. Ich mache dort meinen Master in  Friedens- und Konfliktforschung. Richtig in die Bewegung reingekommen, bin ich aber erst vergangenes Jahr bei einem Praktikum in Bonn. Durch die Arbeit bei der Friedenskooperative bin ich mit der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) in Kontakt gekommen. Inzwischen habe ich eine ICAN-Hochschulgruppe gegründet.

Es war also nicht der lokale Bezug, der dich beeinflusst hat? Büchel liegt immerhin nicht mal eine Autostunde von Bitburg entfernt ...

Görgen: Tatsächlich nicht. Dass die Vereinigten Staaten dort Atomwaffen lagern, ist zwar bekannt. Die Tragweite dieses Umstands wurde mir aber erst später bewusst, als ich bei Protesten in Büchel war.

Du glaubst also, dass die Atomwaffen in Büchel ein Risiko für die Eifel darstellen?

Görgen: Absolut. Sie machen die Region zur Zielscheibe. Wenn es zu einem Atomkrieg kommt, wird Russland versuchen, die Stützpunkte anzugreifen, die Atomwaffen haben. Und da gehört Büchel dazu. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sich die Menschen aus der Region für die Abrüstung einsetzen. Die Bomben lagern ja vor ihrer Haustür.

Seit die Amerikaner Ende des Zweiten Weltkrieges die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki warfen, kam es zu keinem Einsatz mehr. Viele sagen: Die gegenseitige Abschreckung mit den Waffen sichere sogar den Frieden. Du hingegen sagst: Sie sind eine Gefahr. Warum?

Görgen: Die Welt stand mehrfach kurz vor einem atomaren Schlag, etwa während der Kubakrise. Das zeigt: Die Menschen sind fehlbar, auch die, die am roten Knopf sitzen. Ein solcher Fehler könnte viele Tausend Menschen das Leben kosten.

Deshalb hast du dich bei der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York für die Abrüstung eingesetzt. Wie kam es dazu?

Görgen: Die Deutsche Friedensgesellschaft hat  zusammen mit der Friedenswerkstatt Mutlangen Plätze in der Jugenddelegation ausgeschrieben und ich habe mich beworben. Dann bin ich mit 18 weiteren Menschen nach New York gereist. Wir haben dort nicht nur das Statement verlesen, sondern auch Gespräche mit Diplomaten geführt. Wir waren sozusagen die Vertreter der europäischen Jugend.

18 Deutsche sollen die gesamte europäische Jugend vertreten? Warum gab es keine Delegationen aus anderen Ländern? Wollte sonst niemand mit?

Görgen: Atomwaffen sind ein Thema, das abstrakt und groß erscheint. Vor allem Frauen, trauen sich nicht heran. Überhaupt hat die Friedenspolitik keine starke Lobby. Das muss sich aber ändern.

Wie sind die Gespräche mit den Diplomaten verlaufen?

Görgen: In den Gesprächen ist mir vor allem ein Problem vor Augen geführt worden. Alle unsere Gesprächspartner waren Männer, weil über neunzig Prozent der Deligierten männlich sind. Verteidigungspolitik ist nach wie vor eine Männerdomäne. Frauen, die sich damit befassen, werden belächelt. Uns wird vorgeworfen, zu emotional für Sicherheitspolitik zu sein. Wir hätten Angst, und das sei verständlich, weil Angst mit dem weiblichen Geschlecht verbunden wird. Abrüstung sei aber realpolitisch nicht umsetzbar. Wir, die sich lange mit dem Thema beschäftigen sagen: Abrüstung ist möglich und der einzige Weg, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Dass es zur Schaffung von Sicherheit, keiner Waffen bedarf, zeigen die vielen atomwaffenfreien Zonen auf der Welt – etwa in Lateinamerika. Es fehlt also hauptsächlich am politischen Willen.“

Aber warum halten die Staaten denn an ihren Atomwaffen fest?

Görgen:

Die Abschreckungspolitik durch Atommächte sichert in erster Linie Machtposition. Was sie nicht sichert, jedoch vorgibt zu sichern, ist der Schutz der Bevölkerung. Abrüstung bedeutet in der Welt dieser Staatsmänner, Schwäche. Dabei wäre es ein Zeichen von Stärke, eigene Privilegien zu erkennen und zu teilen oder aufzugeben, um einen nachhaltigen Frieden zu schaffen. Ich glaube es braucht mehr Frauen in der Verteidigungspolitik um diesen Diskurs zu ändern.

Was wäre denn eine Lösung für das Problem? Wer fängt an mit der Abrüstung?

Görgen: Ja, genau das ist das Problem. Ein Ausweg könnte der Atomwaffenverbotsvertrag sein. Staaten, die ihn unterschreiben, verpflichten sich, niemals Atomwaffen zu entwickeln, zu testen oder überhaupt anzuschaffen. Es gibt auch schon viele Unterstützer dieser Lösung – nur leider hat keine Atommacht bislang unterschrieben. Deutschland hat an den Konferenzen zum Vertrag nicht mal teilgenommen.

Dennoch wird dieser Vertrag bei der 50. Ratifizierung in Kraft treten. Dadurch wird eine internationale Norm geschaffen, die Atomwaffen ächtet, ob mit oder ohne den Willen der Atomwaffenstaaten. Viele Banken haben dies erkannt und investieren nicht mehr in Atomwaffen.

Aber hat der Bundestag nicht 2010 beschlossen, die einzigen Atomwaffen auf deutschem Boden, nämlich die in Büchel, abzurüsten?

Görgen: Das war offenbar nur eine Absichtserklärung ohne rechtliche Bindung. Die Realität sieht anders aus. Die Atomwaffen in der Eifel sollen bald modernisiert werden. Dabei sind laut einer Umfrage rund Zweitdrittel aller Deutschen dafür, sie abzuziehen.

Was kann diese Mehrheit der Gesellschaft denn tun, um die Politik zum Umdenken zu bringen? Was ist vor Ort, in der Eifel, möglich?

Görgen:  Ein Anfang wäre es, wenn sich in Bitburg eine ICAN-Gruppe gründen würde. Städte können einen Appell unterzeichnen und damit von der Bundesregierung einfordern, dem Verbotsvertrag beizutreten. Mainz zum Beispiel hat dieses Signal als eine der ersten Gemeinden gesetzt. Was auch helfen kann: Politiker ansprechen. Sie haben einen Auftrag und es ist unsere Aufgabe, diesen Auftrag zu formulieren. Eine atomwaffenfreie Welt ist unser Recht.

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