"Jesus schubst niemanden weg"

STADTKYLL. Trüber Himmel, strahlende Gesichter: Gut 1500 Mitglieder des Mülheimer Verbands Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden haben im Oberen Kylltal ihr "Mai-Vestival" gefeiert.

"Sehr verregnet" findet Annette Gabriel aus Oberhausen das Mai-Vestival, das zum dritten Mal im Oberen Kylltal ausgerichtet wird. "Aber von den Veranstaltungen her sehr schön. Und weil wir eine gute Atmosphäre haben." Tatsächlich: Die Stimmung ist fröhlich, der Umgang entspannt. Die Teilnehmer kommen aus ganz Deutschland: "Von Flensburg bis Freudenstadt, von Duisburg bis Berlin", sagt Pastor Thomas Klappstein. Im "Mülheimer Verband" (MV) sind sie zusammengeschlossen. MV - die Anfangsbuchstaben erklären auch, warum das "Mai-Vestival" nicht mit "F" geschrieben wird.Alles auf der großfamiliären Ebene

Zentraler "Vest"-Ort: der Landal Green Park im Stadtkyller Wirfttal. Nebenan, in der Tennishalle, werden die täglichen Gottesdienste gefeiert. Zwischen den Ferienbungalows im Wald steht das "Zelt der Begegnung". Am Eingang: Präses Ekkehart Vetter. "Immer nur reinkommen, hier ist es warm und trocken", ruft er seinen Schäfchen zu. "Das läuft bei uns alles auf freundschaftlich-großfamiliärer Ebene", sagt der Präses und freut sich darüber, dass so viele miteinander ins Gespräch kommen in diesen Tagen. Annette Gabriel ist zum ersten Mal dabei. "Mit Mann und zwei Kindern." Zum Glauben fand sie über eine Arbeitskollegin in Hessen. Nach dem Umzug zurück in ihre Heimatstadt habe sie dann eine Kirchengemeinde gesucht - und per Telefonbuch gefunden: Die freikirchliche Christus-Gemeinde Oberhausen. "Da hatte ich sofort gute Kontakte. Es war von Anfang an der richtige Platz für mich." Apropos Zelt: Mit einer Zelt-Mission hat es vor 101 Jahren auch in Mülheim an der Ruhr angefangen, wie Thomas Klappstein berichtet. "Damals gab es zwei Pastöre, die sind zu den Leuten hingegangen und haben erste Versammlungen und Gottesdienste gehalten." Zu denen seien Tausende gekommen - Menschen, die in ihren Kirchengemeinden nicht glücklich wurden. Klappstein betont, dass es sich dabei nicht um eine Abspaltung von der evangelischen Landeskirche handele. Eher eine Art "Ausgründung", zumal man heute längst wieder das Gemeinsame betone und vielfach mit der großen Schwesterkirche kooperiere.Taufe erst im angemessenen Alter

Unterschiede gibt es dennoch: "Wir taufen keine Kinder", sagt er zum Beispiel. Das Bekenntnis zum Glauben und zu einer Religionsgemeinschaft sei eine große Entscheidung im Leben eines Menschen - und deshalb solle man sie auch im angemessenen Alter selbst treffen dürfen. Die Seminar-Angebote beim "Vestival" sprechen für einen lebensnahen Umgang mit alltäglichen Sorgen: Eines befasst sich mit dem Thema Alleinerziehung. "Und das trifft ja meistens die Frauen", sagt Klappstein. Das Motto: "Wie können wir da als Gemeinde helfen." Und vor allem: niemanden verurteilen. "Jesus schubst die Leute nicht weg", sagt Klappstein, und erwähnt die Geschichte mit der Ehebrecherin. Das erinnert fast schon an die Losung des gleichzeitig laufenden Katholikentags in Saarbrücken: "Gerechtigkeit im Angesicht Gottes". Mehr als 1500 Menschen, rund 6000 Übernachtungen: Klar, dass man sich im Oberen Kylltal auch unter diesem Aspekt über die friedliche Invasion freut und bei Aufbau und Organisation kräftig hilft. "Ich bin froh, dass wir uns als guter Gastgeber zeigen können und eine solche Riesensache geschultert bekommen", sagt Bürgermeister Werner Arenz. Zumal viele Besucher dadurch die Region kennen lernen könnten - und sehen, dass man dort auch prima Urlaub machen kann. Aber nicht nur deshalb sind die Freikirchler im Oberen Kylltal sehr willkommen. Mehmet Fistik, Betreiber des Art-Hotels und der Tennishalle: "Das sind sehr nette Leute."

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